Dienstag, 24. März 2020

Erwacht oder nicht erwacht – das ist keine Frage

Im Geschäft um das Erwachen oder die Erleuchtung werden immer dieselben Fehler begangen. Aus dem Mythos der Erleuchtung wird die sprichwörtliche Karotte, die dem Esel vor die Nase gehalten wird.
Im Netz kann man sogenannte erwachte Lehrer finden, die mit ihrer Erfolgsquote von erwachten Schülern werben, ganz so wie es Motivationslehrer mit ihren Schäfchen tun, wenn diese plötzlich erfolgreich werden. In solchen Fällen geht es ums Geschäft und da kann ein Meeting schon mal 500 Euro kosten. Immerhin, nicht viel Geld, wenn es „life changing“ ist, oder?
Generell wird viel über Erleuchtung bzw. Erwachen geredet und viel dazu erklärt. Zu viel für meinen Geschmack.
Nehmen wir einen typischen Suchenden, den es nach Erleuchtung giert und der gar nicht so recht weiß, warum überhaupt. Klar, er hat eine Idee, was das bedeuten könnte: Freiheit, nicht mehr leiden müssen, unendliches Glück, ein besseres Leben... Jeder möchte eigentlich glücklich und unbeschwert leben und niemand weiß so recht, wie er es anstellen soll. Da kommt so eine schicke Erleuchtung gerade recht. Also geht der Suchende zu jemanden, der ihm dabei helfen soll. Lange muss er nicht suchen – das Angebot scheint größer als die Nachfrage zu sein. So viele glückliche Erwachte, die ihre Dienste feilbieten.
Wirklich, wirklich viele... manche konnten sich auf dem Markt etablieren, touren durch Deutschland oder die Welt und machen damit gutes Geld. Andere müssen sich da schon mehr abstrampeln und kämpfen um jeden Kunden.

Ich möchte den Quatsch gerne jeden ersparen, der diese Zeilen liest. Wer nach Glück sucht, wird nicht um seine Probleme herumkommen, er muss immer mitten durch. Das gilt für jeden, der glücklicher leben möchte. Da ist keine magische Erleuchtung, die plötzlich alles wegzaubert und dich ins Nirvana schießt – nun, vielleicht kurzzeitig, aber die harte Landung erfolgt garantiert.
Es gibt den Prozess des Erwachens, der Realisierung dessen, was du bist. Und manche stolpern regelrecht darüber und sind völlig desorientiert. Die Geschichten von Leuten, die erwachen und völlig verwirrt durchs Leben straucheln, kommen nicht von ungefähr. Aber auch spontan Erwachte müssen sich ihren inneren Dämonen noch stellen, sonst kann die Identifikation mit der fiktiven Person sich wieder durch die Hintertür einschleichen und die Landung wird noch härter, der Fall noch tiefer. Sie brauchen dann dringend einen Lehrer, der sie dazu anhält, sich Zeit zu nehmen, die neue Perspektive zu erforschen und eben nicht den erleuchteten Guru zu spielen.
Neben dem spontanen Erwachen gibt es den viel langsameren und vermutlich auch sichereren Weg. Das schrittweise Begreifen, was du eben nicht bist, um dann zu erkennen, was bleibt. Das braucht Zeit, nimmt aber auch alle Illusionen und jeden Glauben an irgendwelchen Blödsinn.
Wer diesen Weg ernsthaft beschreitet, verliert das Interesse an einer mystischen Erleuchtungsidee. Es ist das Verstehen, dass das Leben immer Schmerz und Herausforderungen für uns bereithält und wir darauf reagieren. Da ist aber auch in der schwierigsten Lebenssituation immer der Teil in uns, der von Schmerz (als auch von oberflächlicher Freude) völlig frei ist. Dieser Teil ist immer präsent und wir können ihn jeden Moment wachsen lassen. Das erfordert Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und die stete Bereitschaft, das, was da erwacht, an die erste Stelle zu setzen.
Kurz gesagt, da ist einfach kein Platz mehr, sich um etwas wie Erleuchtung Gedanken zu machen. Und es ist aus der Perspektive eines Lehrers völlig lächerlich, diese Freiheit jemand anderem verkaufen zu wollen. Ernsthafte Schüler werden sich immer ihren Lehrer bzw. Guru kümmern, da er die Verkörperung dessen ist, was sie in sich selbst entdecken. Aber das ist jenseits von jedem Business - da sind keine Erwartungen oder gar Verträge.

Die allerwenigsten unter den Suchenden werden ernsthaft diesen Weg beschreiten, wenn sie erst einmal begreifen, was es erfordert, dies zu tun. Wer diesen Weg lange genug gegangen ist, muss das wissen und wird von daher kein Interesse daran haben, irgendjemanden als Schüler zu werben und daraus ein Geschäft zu machen. Er wird eher das Gegenteil tun und nicht seine Zeit und die seiner Schüler mit Leuten vergeuden, die nach Wegen suchen, ihre privaten Probleme zu lösen oder ihr Ego zu stärken.

Entsprechend sollte das Angebot vieler Lehrer ehrlicher werden: ihr wollt eine gute Zeit mit euch verkaufen. Das ist okay. Aber lasst die Karotte aus dem Spiel!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen