Die ideale Gemeinschaft
Es vergeht kaum
ein Jahrzehnt, in welchem die Gesellschaft ihre Werte, ihre Ziele
und das Miteinander nicht kritisch gesehen werden. Aktuell ist der
weltweite Umgang mit einer Krise wiederum ein Anlass, die Integrität
der gesellschaftlichen Ordnungsebene in Frage zu stellen. Wohin man
schaut, kann man Egomanen erkennen, die ihre eigenen Interesse
verfolgen und nicht das Beste für die Allgemeinheit im Sinn haben.
Das gilt nicht bloß für diese Krise, sondern auch für die
Probleme, die vorher öffentlich angeprangert wurden, wie bspw. der
Schutz unserer Lebenswelt.
Die Probleme sind
nicht neu, erreichen aber ein bedenkliches globales Niveau und werden
voraussichtlich in einem Kollaps der bisherigen politischen
Strukturen enden, was sich jetzt bereits abzeichnet. Es bleibt zu bedenken: die menschliche
Geschichte kann keine langfristigen, stabilen, wohlwollenden
Gemeinschaften vorweisen.
So lebte der Mensch
schon immer in Gemeinschaften, die auf unterschiedlichen Ebenen
Schwierigkeiten mit sich bringen. Wir kennen nur vom Hörensagen oder aus Mythen ideale Gesellschaft.
Die Menschheit kann scheinbar nur schwer friedlich miteinander
umgehen.
Und entsprechend,
da es ein urmenschliches Problem ist, kracht es auch in den kleineren
sozialen Gefügen häufig im Gebälk - die Familie ist dafür wohl
das klassischste Beispiel.
Die Mehrheit der
Menschen wird sich, und das will ich hier gar nicht in Frage stellen,
in ihren Gemeinschaften, ob gewählt oder geerbt, mehr oder weniger
wohl fühlen. Wir arrangieren uns damit, dass es nicht immer optimal
läuft und suchen Anschluss, je nach Interesse und Weltanschauung und
mit unterschiedlichen Motiven. So dienen Gemeinschaften dem
Zeitvertreib, der Zerstreuung oder z.B. beruflichen und
gesellschaftlichen Vorteilen.
Wir wissen aus
Erfahrung um unsere Probleme mit dem Miteinander und haben Strategien
entwickelt, die Probleme mithilfe von Regeln und Institutionen zu
lösen. Da ist die Justiz mit Legislative und Exekutive oder das
simple Faustrecht mit dem vereinfachten Recht des Stärkeren. Heute hat jeder
Kaninchenzüchterverein eine Satzung und ein Regelwerk, welche
das Miteinander ordnen und Konflikte vermeiden sollen. In jeder Jugendherberge finden sich Hausregeln, welche dem blanken Vandalismus und der gelebten Rücksichtslosigkeit Einhalt gebieten sollen.
Letztlich, nach
zehntausenden Jahren menschlicher Gesellschaften, muss man wohl
zugeben, dass es keine politische Lösung gibt, um unser
Zusammenleben zu harmonisieren und Kriege und Konflikte zu vermeiden.
Im Kern liegen die Probleme, bricht man sie denn herunter auf
menschliche Charakterzüge, immer in persönlicher Gier oder Angst
begraben. Jedes Streben nach Macht (über andere) ist ein Ausdruck
eines Strebens nach Sicherheit, welche aus Angst entsteht. Angst, zu
kurz zu kommen; Angst, verloren zu gehen, zu verhungern, zu sterben;
Angst nicht gehört, gesehen und geliebt zu werden... die Gier nach
mehr ist nicht zuletzt auch ein Zeichen für den unstillbaren Durst
nach etwas, dass wir im Innern suchen und in dieser Welt nicht finden
können.
Die Lösung für
die Gesamtheit kann somit nur in der Reifung des Einzelnen liegen.
Das bloße Erkennen, dass wir mehr sind, als eine sterbliche Hülle,
führt zu Sicherheit und Zufriedenheit; im Erkennen, dass wir im Kern
unseres Selbst diese Welt - uns eingeschlossen – kreieren, ist ein
liebevolles Miteinander ein selbstverständliches Handeln. Im
Gegenschluss bedeutet das aber auch, zumindest vorerst, dass ein
derartiges Miteinander wohl eine Utopie bleibt.
Dennoch sind
vereinzelt Menschen auf diesem Weg und zugleich auf der Suche nach
Anschluss. Die Auswahl ist diesbezüglich begrenzt und taucht in den
vorherrschenden gesellschaftlichen Wertesystemen wohl nur als
Subkultur auf.
Es braucht eine
innere Reife als Voraussetzung für ein wohlwollendes Miteinander.
Und ja, die Gemeinschaft von Menschen mit einem hohen Ziel ist
erstrebenswert - aus vielerlei Gründen. Wir sprechen über
Gemeinschaften, die danach trachten, sich jenseits menschlicher
Wünsche und Verlangen (und damit Versuchung) zu bewegen. Welche sich
die Entwicklung zum Ziel setzen innerhalb einer fruchtbaren Form der
Begegnung.
Für eine Gruppe,
welche sich Gott, Brahman oder dem spirituellen Selbst widmet,
bedeutet ein gemeinsames Handeln eine Multiplikation von Kraft oder
Shakti. Das ist spürbare, oft sehr starke Energie, welche die
spirituelle Bemühung beflügelt und erleichtert, und die Bindung
zwischen den Mitgliedern dieser Gruppe stärkt.
Die Energie,
welche z.B. in einer Meditationsgruppe entstehen kann, die sich
diesem Ziel hingibt, wirkt für die Beteiligten wie ein Katalysator.
Idealerweise orientiert sich eine solche Gruppe an demjenigen, der in
seiner Realisation am weitesten fortgeschritten ist - jemand, der
bestimme Transformationen durchlaufen hat, reif dafür ist und weiß,
wohin die Reise geht, ohne irgendwelche persönlichen Ziele zu
verfolgen. Das ist nötig, damit das Zusammenkommen nicht für
profane Zwecke missbraucht wird, wie es manchmal zu beobachten ist.
In einem Kloster
kommt diese ordnende Vorbildfunktion immer einem Oberhaupt zu, was
Vor- und Nachteile mit sich bringt. Die feste Organisation ist
solange ein Vorteil, wie das Oberhaupt realisiert ist und die
Ausrichtung rein hält. Es ist ungeheuer wichtig, dass die
Ausrichtung hundertprozentig dem Zweck der tieferen Erkenntnis dient.
Deshalb ist es
kein normales Miteinander, sondern eine exklusive, nicht alltägliche
Oase in unserem sonst recht turbulenten Leben, die überdies nicht
jedem offensteht. Nicht, weil es nicht erlaubt wäre, sondern weil es
keine persönliche Entscheidungsebene gibt, die dies ermöglicht. Es
ist schlicht für die meisten Menschen nicht von Interesse. Sie
könnten sich nicht dafür entscheiden, weil es in ihrer
individuellen Programmierung keine Option dafür gibt. Es braucht
dafür das innere Streben nach Selbsterkenntnis und Transformation.
Auf dieses Ziel
konzentrieren sich die Gruppen, über die wir hier sprechen, auch
wenn unterschiedliche Begrifflichkeiten gewählt werden. Manche bauen
an einem inneren Tempel, andere geben sich Gott hin, wieder andere
heizen das Shakti und damit die Kundalini an, um die Realisation zu
erreichen. Letztlich beflügeln viele Wege die transformatorische
Kraft, welche die göttliche Natur offenbaren kann.
Ja, diese
Gemeinschaften sind speziell und es kann auch innerhalb dieser
Gruppen zu Schwierigkeiten kommen. Bereits profane Gespräche
zwischen Menschen, die zu sehr gedanklich verhaftet sind, können dem
intrinsischen Feld das Momentum rauben, welches sich in einer solchen
Gruppe als transformatorische Kraft bilden kann. Jeder Einzelne wirkt
durch seine Haltung und Ausrichtung mit. Das wichtigste Ziel im Leben
sollte idealerweise die Realisation sein – das Erkennen von Gott,
der Wahrheit, unserem spirituellen Kern. Nur dann kann sich der
Erhalt der Gemeinschaft und das Wohlwollen untereinander jenseits
einer übergestülpten Moral bewegen. Ethik und Moral sind anfällig,
da sie ohne tiefere charakterliche Wurzeln, wie ein vertrocknetes
Blatt im Wind, schnell ihren Halt verlieren.
Natürlich bleibt
eine ideale Gemeinschaft nur ein Ideal. Das kann nach meiner
Erfahrung ansatzweise in Zusammenkünften erreicht wird, in welchen
die Ebene persönlicher Ziele und Wünsche durchbrochen wird und in
welchen Liebe ein bedingungsloses Gut ist.
Den meisten von
uns bleibt vorerst nur die Arbeit des Erkennen des Selbst und die
Freude an den Menschen, die, mit welcher Methode auch immer, einen
ähnlichen Lebensweg verfolgen. Die Welt an sich bleibt ein
Spielplatz der Möglichkeiten und der Kontraste. Nach Murphys Gesetz:
alles, was schief gehen kann, wird auch schief gehen.