Mittwoch, 13. April 2022

Umgang mit der Welt

Es ist möglich, hundert Jahre zu leben, ohne etwas zu lernen, das für mehr als die eingebildete Existenz gut ist. Es ist möglich, in einem langen Leben nichts zu lernen, was uns über den egomanen Geist hinauswachsen lässt und uns unsere eigene immerwährende Freiheit vermittelt. Wie sollte es sonst möglich sein, dass wir permanent älteren Menschen mit der emotionalen Reife von Teenagern begegnen, welche nie einen Blick nach Innen gewagt haben?
Es sind zugleich jene Menschen, welche zur Zeit die Geschicke der Welt bestimmen. Es ist nicht die Zeit der weisen Führung und das soll es auch nicht sein. Es ist die Zeit des Dramas und des Schreckens innerhalb dieser Illusion einer Welt.

Eine in Angst und Schrecken versetzte Menschheit erkennt in der Gier einen Ausweg – die Vermehrung des Kapitals darf nicht stoppen. Nur sehr wenige suchen den Ausweg in einer tieferen Wahrheit.
Um uns herum können wir die Not sehen, welche dazu drängt, so viel wie nur möglich an sich zu reißen, um das eingebildete Selbst in Sicherheit zu wägen.

Es wird darüber gesprochen, dass der Wohlstand nun für uns alle langsam schwindet und die, welche darüber sprechen, wird es nicht betreffen. Es wird über die Ungerechtigkeit in der Welt von Personen debattiert, welche diese Ungerechtigkeit an vorderster Front immer wieder aufs Neue etablieren. In den Medien wird ständig eine andere sprichwörtliche Sau durch das Dorf gejagt, aber der Jäger wird nicht wirklich für uns sichtbar. Alles scheint fleißig daran zu arbeiten, das leichte Leben unerträglich schwer werden zu lassen.

Es gibt nachvollziehbare Gründe für den Zustand dieser Welt. Es ist möglich, zu den sogenannten Mächtigen zu gehören, ohne einen Funken Weisheit und ohne ein Herz für andere zu haben. Das Herz muss korrupt und der Geist pathologisch narzisstisch sein, um zu denen gehören zu können, welche den Schrecken verbreiten.

Sich nicht daran zu beteiligen ist ein erster Schritt. Den Fernseher nicht anzuschalten, die Nachrichten nicht zu verfolgen, soziale Medien nicht zu bedienen... ist ein essentieller Schritt, um dem depressivem Niederschlag zu entkommen bzw. sich dem nicht auszusetzen.
Sich darüber bewusst zu sein, dass nichts, was ich in den Medien sehe oder lese, hilfreich sein soll. Es gibt einen Grund, warum jeder ein „Smart“phone mit sich herumträgt. Es ist die Möglichkeit, ganz smart jeden jederzeit und überall zu beeinflussen. Das funktioniert gut, sofern die geistigen Impulse nicht von einer tieferen Ebene erkannt werden. Diese Technik ist die ultimative Zerstreuung für den Geist, der sich nicht mehr auf das Wesentliche fokussieren kann, sondern sich im künstlichen Chaos verliert. Es ist die ultimative Überforderung für das Herz, welche mit der Fülle an Negativität nicht umzugehen weiß. Das alles macht es schwer, sich selbst zu erkennen und die Illusion zu durchblicken. Das macht uns zu Mitläufern und -tätern.

Es gibt eine Zeit, sich mit dem Geschehen in der Welt auseinander zu setzen und die Überschriften zu lesen. Das sollte immer nur nach(!) der bestmöglichen Zentrierung auf DAS erfolgen. Nach der bestmöglichen Meditation. Nachdem wir im Herzen ruhen und erkennen, dass die Welt in uns stattfindet und nicht umgekehrt.

Eine Welt in Angst und Schrecken ist auch die ultimative Motivation für die eigentliche Suche. Es ist die Zeit, die Stille zu bevorzugen, sich ein Refugium im eigenen Heim zu schaffen, im Herzen zu ruhen und zu erkennen.

 

Freitag, 4. Februar 2022

Klarheit im Handeln

Wer kennt diesen extrem starken Moment innerer Sicherheit, wenn einem plötzlich völlig klar ist, was zu tun ist? Vielleicht nach einer Zeit des Zweifelns und Haderns und längeren Abwartens. Manchmal kommt dann dieser Augenblick der inneren Ausrichtung; dieser magische Moment, in dem sich alles zusammenfügt und kein Zweifel mehr besteht. Man darf im Einklang mit einer Gewissheit und daraus resultierender Begeisterung handeln. Zumindest für eine Weile, welche aber genügen mag, um die Richtung im Leben zu ändern.

Wie wertvoll dieser Moment für den Lebensweg tatsächlich ist, lässt sich nur retrospektiv erkennen - vielleicht erst viele Jahre später, nachdem das Leben einige Abzweigungen geommen hat. War es tatsächlich der notwendige, lebensverändernde Kick oder war es bloß ein Zwischenspiel auf einer längeren Reise, die viele Umwege in Kauf nahm?

Vielleicht liegt der Wert auch viel mehr im Augenblick der Gewissheit an sich. Diese Augenblicke innerer Fügung sind magisch. Es stellt sich eine Synchronizität mit dem Leben ein, welche ungeheuer befriedigend ist. Sie schenkt uns nicht bloß geistige Klarheit und innere Motivation, sondern eine seltene Sicherheit, eine zweifelsfreie Einheit mit dem Lebensweg. Man weiß um die richtige Entscheidung und ist geradezu elektrifiziert von der Schönheit des Moments.

Als ob uns eine innere Hand führt und wir uns in diese Hand legen dürfen mit dem Gefühl, dass alles gut ist und wir glücklich und beschützt handeln dürfen.

Nein, man kann diese Momente nicht produzieren oder willentlich fördern. Wie sollte das auch gehen? Wir haben uns möglicherweise eine Weile in einer Sackgasse befunden, uns evtl. damit arrangiert oder nach Auswegen gesucht - es spielt keine Rolle. Die Hand wird uns gereicht oder nicht, ganz gleich ob wir glauben, es wert zu sein oder nicht; ob wir zuvor gut oder schlecht gehandelt haben. Der Grund für dieses Geschenk bleibt uns verborgen.

Warum spreche ich das also an? Eigentlich nur aus dem Grund, weil es eines dieser Wunder im Leben ist, noch lange bevor wir das Wunder des Lebens begreifen dürfen. Diese seltenen Momente sind eine tatsächliche Handreichung, nicht nur zum Zwecke einer erleichterten Lebensentscheidung, sondern für die Einsicht, dass wir kein verlorener Organismus in einer großen Welt sind.
Und das ist die eigentliche Magie: zu erkennen, dass wir Teil eines großen Ganzen sind. Vielleicht gewinnen wir Klarheit über unseren Weg; viel wichtiger ist aber das Verstehen, dass es eine innere Führung gibt. Es offenbart sich in solchen Momenten eine Sicherheit und Verbundenheit mit dem Leben – für einen Augenblick öffnet sich ein Schleier. Und das wiederum setzt eine Reise in Gang, die alles verändern kann.

Samstag, 8. Januar 2022

Ansatzpunkte für den westlichen Menschen

Was bedeutet "leben" für uns? Spielt sich letzlich nicht alles in dem kleinen Erfahrungsspektrum ab, in welchem „wir“ erleben? Alles andere ist sogenannter „mind-stuff“, d.h. Konzepte, Vorstellungen, Interpretationen. Da gibt es die Erlebnisebene und das, was wir im Kopf an Vorstellungen und Ideen mit uns rumtragen.
Hinzu kommt, alles ist permanent in Veränderung. Das ist auch eine Interpretation, um das Leben zu beschreiben: es ist ständig in Veränderung und nichts bleibt so, wie es ist. Das schließt uns mit ein: wir sind auch in Veränderung. Unser Geist, unsere Gefühle, und insbesondere unser Körper.
Die einzige Konstante, die wir in uns ausmachen können, ist die Seinsebene, welche unsere Aufmerksamkeit entstehen lässt; nur über diese Aufmerksamkeit können wir überhaupt mit Hilfe unserer Sinne erfahren und erleben. Dies ist eine wichtige Erkenntnis eines jeden nach Wahrheit forschenden Menschen: die Aufmerksamkeit ist der Schlüssel, da sie innerhalb des Veränderlichen konstant bleibt.

Unsere Erfahrungen machen wir täglich innerhalb zwei der drei Phasen, die wir jeden Tag bzw. jede Nacht durchleben. Einerseits die Wach- und die Traumphase, welche mit Erlebnissen angereichert sind und andererseits die Tiefschlafphase, in welcher wir reines Sein ohne Erfahrung sind - und damit auch ohne Erinnerung und ohne Anstrengung.
Nichtexistenz, wie im Tiefschlaf ist also auch ein Zustand, der für uns selbstverständlich und erstrebenswert sein müsste. Unbewusst ist er das auch, da niemand seinen Tiefschlaf und damit das süße Schwinden aller Probleme missen möchte. Die Aufmerksamkeit darf dann in ihrer Quelle ruhen – als Folge erfahren wir Entspannung, Erholung und Heilung für Körper und Geist.
Rechte Meditation bewirkt etwas ähnliches - wir erlernen diese Perspektive innerhalb des Tages einzunehmen, was eine Loslösung von der Person bewirkt und einen Blick in die wahre Beschaffenheit dieser Welt gewährt und ihre Natur offenbart, die nicht „fest“ ist, sondern eher wie eine Projektion anmutet.

Der Held der eigenen Story

Die täglichen Erfahrungen werden nur durch unsere Erinnerung greifbar. Wie ein unvollständiges Mauerwerk werden Erinnerungen bruchstückhaft aneinandergereiht, bis sich eine fadenscheinige Geschichte ergibt, die wir dann unser Leben nennen. Diese Geschichte bzw. die choreographierten Erinnerungen, aus welchen sie besteht, sind fehlerhaft, subjektiv, lückenhaft und oft ziemlich verlogen. Verlogen deshalb, weil das geistige Selbstbild auf eine gewisse Integrität angewiesen ist. In unserer Erinnerung bearbeiten wir Ereignisse so lange bis wir damit leben können. Wir bleiben der „Gute“ in unseren eigenen Story, indem wir andere herabsetzen, die Ereignisse und die Perspektive drehen, so weit wir es vertreten können und die Geschichte im Kopf konsistent bleibt. Es ist ziemlich faszinierend, dass wir das alles am Ende auch noch selbst glauben.
Wer hat noch nie zwei zerstrittene Lager erlebt? Jeder Beteiligte hat seine eigene Perspektive auf den Streit und jeder hat zweifelsfreie Beweise für die eigene Unschuld und die Verkommenheit der Gegenseite. Es wäre fast lustig, wenn es nicht so viel Leid erzeugen würde.

Die Erinnerung ist damit tückisch, aber ohne Erinnerung bliebe nur der Augenblick. Das Ego bzw. die Person erführe ein Gefühl größter Orientierungslosigkeit. Unser Erinnerungsspeicher, wie intakt oder beschränkt er auch sein mag, gibt uns eine Chronologie und damit einen Anhaltspunkt, wo und wann wir uns befinden („Gestern war ich traurig, allein und krank, heute koche ich gutgelaunt einen Eintopf und morgen muss ich leider wieder zur Arbeit, wo ich mindestens einen Kollegen nicht ausstehen kann.“).

Die Person ist abhängig von dieser Geschichte, so unwahr bzw. so erfunden sie auch sein mag. Unser Geist muss immer in einer Beziehung zur Zeit, zu einem Ort, zu Objekten bzw. anderen Menschen stehen. Ohne diese Koordinaten und nur mit der Erfahrung des Moments würden wir unser menschliches Dilemma gegen immerwährenden Frieden tauschen. Wir könnten aus unseren Erfahrungen weder ein Problem stricken noch könnten wir uns ein angenehmes Ereignis herbeiwünschen. Wir würden völlig im Einklang mit den Ereignissen des Lebens fließen ohne ein Bedürfnis nach Veränderung.

Die Story als Daseinsberechtigung

Die Person würde vergehen und auf das, was übrig bliebe, möchte kein Verstand bauen. Es ist für unseren Geist, d.h. unser Denken und unser persönliches Empfinden, kein guter Deal, die Existenz der Person und ihre Daseinsberechtigung aufzugeben.
Dabei sind Denken und Fühlen nichts als mit der Zeit tiefer werdende Furchen unserer Psyche, durch welche alle Ereignisse strömen, die uns das Leben schenkt. Das heißt, die Erfahrungen werden mit der Zeit durch immer gleiche Mechanismen des Geistes verzerrt. Wie ein Automat, der nur Kaffee und Tee oder aber eine Auswahl an Kaltgetränken ausspuckt, wird das Leben innerhalb tief geprägter Pfade, unserer sogenannten Psyche, wahrgenommenen. Die Absurdität einer Idee von einem freien Willen kann man leicht erkennen, betrachtet man ältere Menschen und ihre Gewohnheiten, Muster und eingefahrenen Verhaltensweisen, die manchmal wie eine Satire von Loriot anmuten. Die Person ist doch von Kindheit an lediglich ein Produkt ihrer eigenen Vergangenheit und entscheidet immer aufgrund vergangener Prägungen.

Der Versuch, dem entgegen zu arbeiten und das Bemühen, die Denkweise und das Verhalten zu ändern, ist sicherlich nicht falsch, aber letztlich auch ein verlorener Kampf gegen die Zeit, den niemand gewinnt.
Der totale Reset welcher durch das Fallenlassen des Geistes und seiner Prägungen entsteht ist ungleich nachhaltiger und befreiender. Der begnadete Lehrer Nisargadatta Maharaj erklärte, dass die Realisierung der wahren Natur nur durch das Sterben der Person während der Lebenszeit erfolgen kann. Unser eigentliches Selbst kann niemals sterben, da es nie geboren wurde.

Westlicher, dominanter Geist

In der Umsetzung bedeutet dies, die Ereignisse und Erfahrungen im Leben aus der Perspektive des Seins und diesen angelernten Impuls aus dem Zustand der Loslösung lediglich zu beobachten, jedoch nicht die Aufmerksamkeit darin zu verlieren. Das ist leichter gesagt als getan. Es bedarf für die meisten Seelen einer Zeit der Annäherung; einer Zeit der Meditation, der Reflektion und des Lernens.
Insbesondere für uns westliche Menschen scheint es nötig, den Umgang mit einem starken Geist zu erlernen und diesen durch sich selbst auszuhebeln, sind wir doch durch unsere Erziehung darauf trainiert, alles zu analysieren und uns gedanklich mit allem auseinander zu setzen. Unser Geist ist so stark, dass er sich alles zu eigen macht, sogar spirituelle Erlebnisse, und diese einer Person zuschreibt. Empfehlenswert und beispielhaft in diesem Zusammenhang ist z.B. das Buch „Dialogues of Reality“, von Robert Powell; er ist ein Schüler Nisargadatta Maharaj´s, welcher als Westler mit einer akademischen Ausbildung eine für uns nachvollziehbare Sichtweise einnimmt.

Unsere westliche Ausrichtung ist nun einmal auf die Erhöhung des Individuums konzentriert und damit auf die Priorisierung unserer Person. Innerhalb einer säkularisierten Gesellschaft erfordert dies ein tiefes Verständnis um die eigene Natur und die Trittfallen, in welche unser Geist ständig tappt.

Das ist ein Schlüssel für die Entkrampfung der Aufmerksamkeit, welche sich das gesamte Leben in die winzige Wahrnehmungsebene einer Person und ihres Geistes gezwängt hat. In der Loslösung der Aufmerksamkeit von dem Glauben an die Realität dieser Person liegt der Schlüssel zur eigentlichen Befreiung.

 

Mittwoch, 8. Dezember 2021

Die eine Konstante

Die Suche nach Zufriedenheit im Leben treibt natürlicherweise jeden im Leben um. Lebensglück fordert indirekt immer das Finden einer Konstante. Der Mensch sucht nach etwas, das sich im Leben nicht mehr verändert; etwas, das ihn nicht mehr verlässt, wie eine Verkörperung des Glücks, die beständig bleibt.
Verlieren wir das, was uns Glück beschert, führt das automatisch zu Trauer. Es ist in uns angelegt, dass wir unangenehme oder gar lebensbedrohliche Gefühle zu meiden versuchen und uns nach einer Konstante sehnen.

Ein erhofftes Glück mag tausend Dinge und für jeden etwas anderes bedeuten, ganz abhängig von unseren individuellen Vorlieben und Vorstellungen. Das ist eine Frage unserer sozialen Prägung oder anders ausgedrückt: unserer Programmierung.
Glück mag die Liebe durch einen Seelenpartner bedeuten, der uns nie mehr verlässt, die Heimat, die uns keiner raubt oder die Freiheit, immer unterwegs zu sein und großartige Erlebnisse zu haben. Die Hoffnung nach der Erfüllung dieses Glück ist der Grund, warum Menschen heiraten, ein Haus bauen, an ihrer Karriere arbeiten oder immer versuchen auf Reisen zu sein.

Es ist die natürliche Präferenz, das Glück dem Unglück vorzuziehen und, ergo, so zu leben, wie es uns halt glücklich macht. Direkt daran gekoppelt ist die irrige Idee, dass uns etwas oder jemand erst dieses Glück geben oder es in uns erwecken müsste. Das glauben wir, weil wir es nicht besser wissen und da niemand war, der uns etwas anderes beibringen konnte.

Irgendwann im Verlauf des Lebens dämmert es vielleicht, dass es diese durch eine Sache verkörperte Konstante nicht gibt. Im Leben kommt und verschwindet alles, nichts scheint für die Ewigkeit gemacht. Ewigkeit ist ohnehin ein Konzept, das wir mit dem Verstand nicht greifen können, obwohl es eine magische Anziehung auf uns ausübt. Das beginnt schon mit unserem Körper, mit dem wir nur eine bestimmte Zeit gesegnet sind. Aber es ist nicht bloß die vergängliche menschliche Hülle, sondern alles, was uns scheinbar umgibt. Nichts davon ist bleibend oder beständig.

Gehen wir einen Schritt zurück und werfen einen Blick auf unsere Welt, dann müssten wir spätestens seit den Erkenntnissen des letzten Jahrhundert zutiefst erschüttert sein. In der Schule lernen die Kinder bereits, dass die Zeit, welche unser Leben ordnet, abhängig von Geschwindigkeit und Gravitation ist. So ist messbar, dass die Zeit im hohen Gebirge minimal schneller verläuft als auf dem Level des Meeresspiegels; auf Planeten mit großer Gravitation entsprechend schneller und bei Lichtgeschwindigkeit steht sie für den Reisenden theoretisch förmlich still. Auf einer subjektiven Ebene ist Zeit ebenfalls relativ, da verschiedene Ereignisse auf uns wirken und das Zeitempfinden dehnen oder beschleunigen. Und die Zeit ist nur eine der Größen, die wir in unserem Leben fälschlicherweise als eine Konstante anerkennen.

Die Wahrheit kann unangenehm scheinen; die Wahrheit, dass unsere Lebenswelt nicht den angenommenen Gesetzmäßigkeiten und Konstanten unterliegt, wie wir vielleicht glauben wollen. Leben, Zeit, Raum, geliebte Menschen, Besitz und Macht sind bestenfalls geliehen und wir wissen nicht einmal, für wie lange.

Wenn uns etwas Beständiges glücklich machen soll, dann muss es etwas sein, das immer da ist und bereits immer da war. Wie sollte es sonst eine Konstante sein?

Es gibt nur einen Weg, diese Konstante zu finden. Dafür müssen wir ganz genau schauen und an uns selbst erforschen, was dies sein kann. Es kann kein Ding bzw. ein Objekt sein, da alle Objekte im Leben auftauchen und irgendwann wieder verschwinden. Diese ganze Subjekt-Objekt Beziehung ist nicht zuletzt der Grund für das duale Dilemma, welches uns immer zwischen Glück und Leid schwimmen lässt. Das mag menschlich genannt werden, es ist aber sicherlich nicht der sprichwörtlichen Weisheit letzter Schluss.

Die einzige Konstante, die wir finden können, ist das, was bereits unser gesamtes Leben durch unsere Augen blickt und über die Sinne das Leben erfährt. Es ist dieses (scheinbar) innere Wesen, das sich nie verändert hat. Prüft man es genau, dann war es mindestens das gesamte Leben da; ob mit 5, 50 oder 75 Jahren - es war immer gleich. Es ist das, was alle Umstände unberührt akzeptiert, ob nachts, im wilden Traum oder tags, im drögen Alltag. Es fühlt sich immer gleich friedlich, still und beständig an.  

Da diese innere Natur nicht immer für uns greifbar ist, können wir nach dem suchen, was sich darin finden lässt, wie z.B. Frieden oder Liebe. Die einfache Praxis, die wir leben und steuern können, scheint einfach und schwierig zugleich: die Aufmerksamkeit auf einer dieser Qualitäten ruhen zu lassen, und dabei nicht abzudriften, um irgendwelchen Gedanken zu folgen. Irgendwo lässt sich Frieden in uns finden, vielleicht ist das Empfinden dafür zunächst klein; bleibt die Aufmerksamkeit auf dieser Qualität wird auch der Frieden dominanter.

Dabei sollte an nichts festgehalten werden. Den Geist mehr und mehr zu leeren und die Pforte zu durchschreiten, welche durch die tägliche Schulung der Aufmerksamkeit geöffnet wird. Und schon werden wir auf einen mysteriösen Weg geführt.

Ein Ergebnis der täglichen Praxis, des dauerhaften Verweilens in unserer eigentlichen Natur wird dann offenbar. Es fällt irgendwann auf, dass keine Konstante mehr benötigt wird, da derjenige, welchen es nach einer Konstante verlangt, wegfällt. Gleichzeitig ist da die Realisation, dass das, was übrig bleibt und was wir im Kern sind, selbst diese ewige Konstante ist.

An dem Punkt setzen tiefe Erleichterung und Glück ein. Wir waren immer das, wonach wir suchten. Es liegt alles in uns. Das hat und wird uns niemals verlassen, wir sind es selbst!

 

Sonntag, 3. Oktober 2021

Behüter des Lebens

Ein Samen wurde vom Sturm getragen, weit weg vom Ort, wo er geboren war.

In ein fremdes Land mit fremden Boden und fremden Gewächsen.

Anders war es dort. Unwirtliche, harte Erde und nur wenig Wasser.

Konnte der Samen hier überleben? Dürre, karge Pflanzen, mehr schlafend als wach, waren hier zu Hause. 

Steinig, trostlos und verlassen wirkte das Land. Der wenige Regen reichte kaum für die Kraft zum Keimen.

Nur die Gnade des Willens zum Leben ließ kleine Wurzeln wachsen und winzige Blätter sprießen.

Oh Behüter aller Pflanzen, bitte erbarme Dich meiner! Wie soll ich hier für Dich gedeihen, um Dich zu erfreuen mit meinen bunten Blüten und meinem süßen Duft?“

Lange blieb das Pflänzchen scheinbar ungehört und kauerte in der trockenen, aufgerissen Erde. Das bisschen Leben in ihm wurde dennoch bewahrt von einer schützenden Kraft.

Manches muss gehen und anderes soll bleiben. Wir wissen nicht warum, aber so scheint das Spiel des Lebens.

Müde und klein stand das Pflänzchen in der trostlosen Fremde, umgeben von nichts, was es kannte aber durchdrungen von einer ungeahnten Liebe zum Leben.

Da war kein Plan in ihm und keine Aussicht. Nur die Gewissheit, dass es hier sein und überleben muss.

Lange harrte es so aus. Die Lebenskraft schwand mit der Zeit fast völlig. Das zarte Pflänzchen war längst bereit zu vergehen und Platz zu machen für andere, die folgen werden.

Dann kam der Regen, plötzlich und stark. Bäche bildeten sich und kleine Flüsse. Tiere erschienen, um zu trinken. Das Leben wurde mit einem Mal sichtbar.

Überall wuchsen kleine Blumen., wie durch ein Wunder. Kräftige Pflanzen mit saftigen Blättern sprossen aus dem kargen Boden und auch unser kleines Pflänzchen gedieh und wuchs schnell heran.

Mit einem Mal war überall Schönheit und das erstarkte Pflänzchen wurde von Dankbarkeit und Rührung erfasst.

Du hast mich nicht vergessen! Lass mich für Dich schön sein und Dir damit danken. Lass mich hunderte Samen tragen und in Deinem Namen das Land fruchtbar machen!“

So sollte es geschehen.

Generationen seiner Nachfahren veränderten das Land, machten es fruchtbar und der Schönheit des Himmels gleich.

Aus dem kraftlosen Pflänzchen mit nichts als Gnade im kleinen Körper entstand ein prächtiges Stück Land, das jeden, der es besuchen durfte, mit dem Wunder des Leben erfreute.



Samstag, 25. September 2021

Korruption

Vielleicht liegt es ja daran, dass ich älter werde und in der Lage bin, mich zu erinnern. Vielleicht erinnere ich mich auch falsch und vielleicht war es vor ein paar Jahrzehnten nicht besser. Aber korruptes Verhalten, so scheint es, ist heute normaler und allgegenwärtiger geworden. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Lobbyismus in der Politik je so offen zur Schau gestellt wurde. Der reibungslose Wechsel zwischen politischen und wirtschaftlichen Ämtern erfährt lediglich seichte, folgenlose Kritik; daraus resultierende geschäftliche Beziehungen und der Fluss von Steuergeldern wird zwar gelegentlich öffentlich thematisiert, aber Rücktritte von Politikern sind dennoch selten geworden.
Vielleicht gibt es auch weniger Widerstand in einer Gesellschaft, wenn die Offenheit für Diskussionen und die Freude an verschiedenen Ansichten schwindet. In alten Talkshows aus den 60er und 70er Jahren kann man noch die einst lebendige und offene Diskussionskultur erleben – unaufgeregte Gespräche aus verschiedenen Lagern, Menschen, die im undurchdringlichen Nebel aus Zigarettenrauch einander sogar ausreden lassen. Dieses Echo aus der Vergangenheit wirkt heute fast unwirklich und befremdlich.
Ist dieser Verfall der Diskussionskultur nicht auch bereits ein Anzeichen dafür, dass eine Gesellschaft den Übergang von einer Demokratie in eine andere Verfassungsform besiegelt hat - so wie von antiken Philosophen wie Platon beschrieben? Nach Platon wäre die nächste Phase übrigens die Tyrannei, was ungemütlich aber nicht unbedingt abwegig erscheint. Vielleicht sollten wir präventiv alle wieder mit dem Rauchen anfangen...
Der Sinn für die Werte einer Gesellschaft müsste vermutlich in einem wesentlichen Teil selbiger lebendig gehalten werden; das Gefühl einer gesellschaftlichen Einheit (ganz gleich, wie groß diese sein mag) durch mediale Bemühungen allen ans Herz gelegt werden. Korrupte Medien und das Geschäft mit Verunsicherung und Ängsten, mit Meinungsbildung und subjektiver Berichterstattung tragen doch offensichtlich zu dieser Entwicklung bei.
Soziologische Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen müssten ernst genommen und entsprechende Gegenmaßnahmen politisch eingeleitet werden. Und wo ich es schreibe merke ich, wie
unsinnig und utopisch eine solche Forderung im momentanen gesellschaftlichen Kontext klingt.

Aber was passiert zum Beispiel, wenn zu viele Personen zur gleichen Zeit damit befasst sind, nur noch ihre eigene Position und ihren Status zu verbessern?
Es war vermutlich schon immer so, dass die Korruption, d.h. die Bestechlichkeit und damit verbundene Verführbarkeit, alle Ebenen des menschlichen Lebens durchzieht. Auch eine Gesellschaft muss ab einem bestimmten Punkt kippen, so wie ein Teich, der zu wenig Sauerstoff bekommt und in seinem eigenen Saft aus Bakterien und Abfallstoffen zu modern beginnt.

Gleichgewicht, Fokus und Achtsamkeit scheinen nicht nur für den Einzelnen relevant, sondern sind Werkzeuge, die eine Bedeutung für die gesamte gesellschaftliche Stabilität haben. Bei dem Einzelnen geht viel schief, wenn weder Gesellschaft noch Familie diese Werkzeuge vermitteln können.

Wie bereits oben beschrieben werde ich das Gefühl nicht los, dass die Hemmschwelle gesunken ist, korrupt zu denken und zu handeln.

Korruption am Herzen

Sicherlich, es gab schon immer diese Menschen, die scheinbar ohne Rückgrat geboren wurden. Rückgrat im Sinne von Treue und Integrität. Dabei geht es nicht darum, ob jemand „seinen“ Weg geht und für seine eigenen Wünsche und Vorstellungen eintritt. Diese können sich ändern und analog zu den Ereignissen im Leben in Fluktuation sein.
Für mich beginnt die eigentliche Korruption viel früher: weniger in der Welt der Ideen und Vorstellungen, sondern im Herzen. Herz im Sinne von Treue und Liebe gegenüber unserem Wesenskern, unserer Seele. Wir haben alle diesen Kern von unendlichem Frieden in uns, der in Freundlichkeit und Liebe strahlen kann, der frei ist von Angst und Schuld.

Der Verrat am Herzen lässt sich nicht so leicht rational vom Tisch wischen. Korruption gegenüber unserem Herzen bedeutet, Angst und Gier Raum zu geben. Diese negativsten der Emotionen richten dabei Schaden an uns und anderen an, aber das damit verbundene Abwenden und Vergessen von unserem Herzen wiegt ungleich schwerer. Es ist eine Entscheidung gegen die Freiheit und für die volle Wirkungskraft eines entfremdeten und dualistischen Lebens.

Es geht nicht um den persönlichen Vorteil. Auch die Treue gegenüber dem Herzen lässt den Schmerz nicht vermeiden. Wir bleiben Teil dieser Welt, selbst wenn wir unseren Wesenskern voll realisieren.
Auch ohne schlechte Absichten werden wir manchmal Menschen verlassen oder werden von anderen verstoßen; unser Verhalten wird nicht immer auf Verständnis stoßen; wir können als schlechte Person verurteilt werden, weil wir nicht den Erwartungen entsprechen, nicht als würdig erachtet oder nicht verstanden werden. Der Schmerz bleibt immer ein Begleiter, unabhängig davon, ob wir korrupt oder im Einklang mit uns selbst handeln.

Ein Lebensweg mag dabei vorbildlich und ganz linear oder aber völlig chaotisch in verschiedene Richtungen verlaufen. Das sagt nichts darüber aus, ob jemand bestechlich ist oder nicht. Wir können nichts für unsere Sozialisation und die Eigenschaften, mit denen wir ausgestattet wurden. Das einzige, was wir vermögen, ist unsere Aufmerksamkeit im Augenblick zu beherrschen. Das hat eine Wirkung auf unser gesamtes Wesen und die Menschen um uns.

Wesentliche Werkzeuge

Der Fokus im Leben ist entscheidend. Verfolgen wir Ziele, wie Erfolg im Beruf, Ansehen und Einfluss... und können wir nicht beizeiten von diesen Zielen ablassen, dann öffnen wir die Pforten ganz weit für korrupte Gedanken und Taten. Liegt die Aufmerksamkeit auf persönlichen Interessen und den damit verbundenen Gedanken werden wir letztlich korrupt handeln und dieses Handeln rechtfertigen, wenn auch mit einem bitteren Beigeschmack, der sich auf Dauer nicht vom kurzen Rausch des persönlichen Vorteils versüßen lässt.

Moralische Konzepte mögen uns nur bedingt vor schlechten Taten bewahren. Die auf Moral begründete Bewertung der Handlung hängt von Herkunft und den verinnerlichten gesellschaftlichen Werten ab – und diese sind oft fragwürdig und nicht wahrhaftig genug, was das Instrument der moralischen Vorstellungen gefährlich und im Grunde nutzlos macht. Moral ist wie das juristische Recht nur eine Richtschnur für diejenigen, die sich nicht anders zu helfen wissen.

Entsteht Korruption nicht immer aus der Angst, etwas nicht zu erreichen, zu kurz zu kommen, nicht geliebt zu werden, verloren zu gehen oder gar zu sterben? Die Angst vor dem Tod macht uns sicherlich korrupt. Über wie viele Leichen würden Menschen gehen, um ihre eigene Lebenszeit oder die ihrer geliebten Menschen zu verlängern?

Das erlernte Empfinden, ein kleiner Fisch in einem sehr großen Teich zu sein, wird uns alle Vorteile nutzen lassen, um ein etwas größerer Fisch zu werden. Die Realisation, als ewiges Wesen nicht sterben zu können, entspannt diese Ängste, auch wenn der Wille zum Leben ungebrochen bleibt. Der Wille zum Leben kann sich dann in der Liebe zur Wahrheit und gegenüber allen Dingen ausleben.

Dieser tiefe Respekt gegenüber allen Dingen, der nur aus unpersönlicher Liebe erwachsen kann, ist wesentlich im Zusammenleben mit anderen Menschen. Die politische Lösung zur langfristigen Steuerung einer Gesellschaft bleibt vermutlich eine Utopie, solange der Mensch über seine niederen korrupten Antriebe nicht hinauswachsen kann.
Die Motive korrupter Menschen sind meist offensichtlich und nachvollziehbar. Wer will sie dafür verurteilen? Bleibt unsere Aufmerksamkeit im Wesentlichen, wo sie hingehört, stellt sich die Frage nach dem Urteil auch gar nicht. Die Welt zeigt dann von selbst ihre unwirkliche Natur - ihre wahre Beschaffenheit und die zu entdeckende Schönheit in Allem wiegt vielfach schwerer.

Alle Bemühungen, unsere Lebenswelt besser zu gestalten, beginnen immer beim Einzelnen und seinem wachsamen Blick auf alles, was im Moment geschieht. Korruption entsteht aus der Vorstellung, in dieser Welt verloren zu sein. Nur durch rechtes Sehen können wir dem Teufelskreis dieser durch Angst motivierten, gesellschaftszersetzenden Handlung entkommen.

Samstag, 21. August 2021

Wenn der Gedanke 2x klingelt

Wie viele Gedanken hat der normale Mensch so am Tag? Hunderte... oder Tausend?
Nach kurzer Recherche im Netz findet man da Größenordnungen von 35.000-70.000 Gedanken am Tag. Nimmt man davon einen ungefähren Durchschnitt kommt man auf 18-20 Millionen Gedanken im Jahr. Ich denke, das könnte so in etwa stimmen. Klingt jedenfalls nach viel Arbeit im Kopf...

Gedankenstränge

Dabei müsste eigentlich unterschieden werden zwischen zwei Gedankensträngen, die man als aufmerksamer Beobachter leicht erkennen kann.
Der eine Strang an Gedanken ist sehr allgemein, unbewertet und nahezu unbemerkt. Darunter fallen Gedanken, wie: „da ist ein Baum“, „ein Auto fährt vorbei“, etc. Es sind wertfreie Gedanken, die keinen persönlichen Bezug haben und die auch keine Probleme schaffen.
Dann ist da noch der zweite Strang an Gedanken, der den Kern unseres Egos bildet, da er die ersten Gedanken persönlich einfärbt. Aus dem Gedanken: „jetzt einen Salat machen“ wird „ich habe Sorge, der Salat schmeckt meinen Gästen nicht“. Hier werden die Gedanken mit Erinnerungen und Erwartungen verknüpft, welche wiederum Emotionen triggern.

Ohne diesen zweiten Strang an Gedanken gäbe es keine wirklichen Probleme. Wir würden uns als räumliche undefinierte Wesen wahrnehmen, die lediglich Beobachter dieser Welt sind. Das mag nicht für jeden attraktiv klingen. Es ist aber ein ungemein schöner und befreiter Zustand, der sich sehr natürlich anfühlt.

Die meisten Menschen können erfahrungsgemäß nicht aufhören zu denken, auch nicht, wenn sie dazu aufgefordert werden oder es aus eigener Kraft versuchen. Die Aufmerksamkeit hört unaufhörlich dem Strom der Gedanken zu und versinkt regelrecht darin.
Das bedeutet, unser einziges Kapital über welches wir tatsächlich verfügen, nämlich unsere Aufmerksamkeit, versinkt im steten Fluss meist überflüssiger, alles kommentierender Gedanken.

Die Grenze zum Irrsinn

Noch erschreckender ist vielleicht die Aussage, die ich in einem Artikel auf Zeit online fand, dass lediglich 15 Prozent der Gedanken als positiv bewertet werden können. Andere Quellen sprechen sogar von nur 3 Prozent positiven Gedanken. Immer soll im Verhältnis der Anteil negativer Gedanken deutlich höher sein. Die Zahlen mögen vielleicht innerhalb der Beobachtungen drastisch abweichen. Es geht an dieser Stelle nicht um die Analyse einzelner Studien, sondern um die nachvollziehbare Aussage, dass wir viel und oft zu schlecht denken. Das bedeutet, es wäre besser, könnten wir den inneren Kommentator besser im Zaum halten.

Ein überaktives Gedankenleben geht so weit, dass Menschen endlose innere Diskussionen und sogar imaginäre Streitgespräche führen und irgendwann kaum noch unterscheiden können zwischen den tatsächlich stattgefundenen und den eingebildeten Gesprächen. Wer in dem Zusammenhang schon einmal Ziel höchst seltsamer und abstruser Anschuldigungen war, etwas Bestimmtes gesagt oder getan zu haben, weiß vielleicht worüber ich hier schreibe.

Sicherlich liegt ein Problem darin, dass sich das Gedankenleben mit Glaubenssätzen belädt. Alleine der Glaubenssatz, dass die beobachteten Gedanken wichtig oder richtig sind, ist absurd.
Der Glaubenssatz an sich besteht dabei aus sich selbst immer wieder bestätigenden Gedanken. Etwas wird als Tatsache akzeptiert und unsere Beziehung zur Lebenswelt gestaltet sich um diese fixe Vorstellung. Glaubenssätze, wie: „Person xy ist böse“ oder „ich bin wertlos“, werden und müssen sich immer wieder selbst bestätigen. Ein unbestätigter Glaubenssatz würde die Integrität desselben in Frage stellen und damit auch die Integrität des Egos. Das Ego ist lieber wertlos und suizidgefährdet als nicht existent.

Das Ego, eigentlich nur bestehend aus Gedanken und Glaubenssätzen, erschafft die scheinbare Integrität zwischen körperlichen und geistigen Phänomenen und kreiert damit eine Person, die es in der reinen Erfahrung nicht gibt. Zudem stellt es eine Abgrenzung zwischen Subjekt und Objekt her. Dieses Konstrukt aus Erinnerungen und fixen Ideen wird sich immer selbst schützen.

Gruppenwirkung

Ein stark verbreitetes, negativ gefärbtes Gedankenleben ist gesellschaftlich betrachtet durchaus ein Desaster. Es bedeutet, wir befruchten uns gegenseitig mit unangenehmen Schwingungen, welche wiederum zu negativen Emotionen und einer tendenziell negativen Haltung führen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es einfacher ist, eine Gruppe von Menschen mit einer negativen Stimmung anzustecken als das Gegenteil zu tun und die Gruppe auf ein hoffnungsvolles oder vielleicht sogar glückliches Niveau anzuheben. Es reicht bereits ein richtig mies gelaunter Zeitgenosse, um eine Gruppe von Mitmenschen mit schlechter Stimmung anzustecken.
Ich sage immer, man sollte äußerst umsichtig sein, mit wem man so seine Zeit verbringt.

Hut ab vor Künstlern, die alleine einen ganzen Saal zum Lachen bringen können. Das ist kein leichtes Unterfangen, wird aber zumindest durch den Fokus und die gute Absicht der (hoffentlich) meisten Zuschauer erleichtert, eine schöne Zeit verleben zu wollen. Ohne gute Absicht hat es der Künstler nicht nur schwer, sondern seine Bemühungen bleiben garantiert wirkungslos.

Wie immer, können wir nur bei uns selbst beginnen, etwas an unserem inneren Fokus zu ändern.

Übung der Gedankenkontrolle vs. professionellem Nichtstun

Die Idee liegt nah, das Gedankenleben aktiv kontrollieren zu wollen, um über positive Gedanken direkt die Lebensqualität zu erhöhen. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass negative Gedanken nicht gut für uns sind und das Leben auf allen Ebenen verschlechtern.

Entsprechend möchte ich den Versuch der Gedankenkontrolle auch gar nicht als ein schlechtes Vorhaben verurteilen. Es gibt Übungen, die durchaus einen guten Effekt haben. Ich habe da in der Vergangenheit ein paar Praktiken getestet.

Wie zum Beispiel das positive Denken im Intervall: Über einen Zeitraum von 2 Stunden muss man in jeder einzelnen Minute für 10 Sekunden intensiv an etwas Positives denken.
Klar, es ist ziemlich herausfordernd, das 2 Stunden durchzuhalten. Die Übung funktioniert am besten mit einem Intervalltimer... und viel Ausdauer. Dabei wird trainiert, die Aufmerksamkeit auf positive, aufbauende Gedanken zu legen. Es ist anfangs nicht so leicht, jede Minute eine positive Vorstellung ins Bewusstsein zu bringen – nach 2 Stunden wird es aber zu einer Art Gewohnheit. Es lohnt sich, dies wenigstens einmal auszuprobieren.

Das ist eine spannende Übung, die sich aber in meiner täglichen Übungspraxis nicht durchsetzen konnte, da mein Bestreben immer darin lag, meine innere Natur kennenzulernen und dem näher zu kommen, was für diese ganze wunderbare Kreation verantwortlich ist. Und dafür gibt es direktere Wege, welche beiläufig auch die Beziehung zu aufkommenden Gedanken drastisch verändern. Die Wege sind aber für jeden verschieden, deshalb wollte ich andere Möglichkeiten wenigstens kurz anreißen.

In spirituellen Traditionen begegnet man immer wieder der Aussage, dass die Freiheit von Gedanken ein wichtiger Faktor für die spirituelle Entwicklung ist... nun, eigentlich muss die Aussage präzisiert werden. Es geht eigentlich nur um die Freiheit vom oben angesprochenen zweiten Gedankenstrang.

Das ruhige, absichtslose Sitzen und reine Beobachten hat sich für mich als Offenbarung herausgestellt. Ja, ja, es sieht aus wie Nichtstun aber es ist viel erfüllender als jede Form des Nichtstuns, von der ich zuvor glaubte, dass es Nichtstun sei. Gutes Nichtstun ist eine Kunstform, die meistens viel Zeit erfordert, damit man es zur Meisterschaft und ultimativen Befreiung bringen kann. Sie hat auch rein gar nichts mit Untätigkeit oder Faulheit zu tun. Im Gegenteil, es erfordert einen enormen Fokus, um die Art der Wahrnehmung zu ändern, mit der wir aufgewachsen sind.

Dazu müssen wir lernen, unsere Aufmerksamkeit zu bemerken, was erst einmal widersprüchlich klingt. Reines Beobachten erlaubt es, noch vor dem inneren Kommentator alles zu bemerken. Wir erkennen z.B. den Gedanken und die Bewegung im Geiste, diesen Gedanken interpretieren und färben zu wollen. Wir erkennen die damit verbundenen Gefühle, die körperlichen Empfindungen. All dies wird durch reines Beobachtung zu einem einzigen zusammengehörigen Phänomen im Raum.
Das Beobachten ist etwas, das wir automatisch immer tun. Wir müssen uns nun aber mit dem identifizieren, was die Gedanken und alle anderen Erscheinungen bemerkt. Das bedeutet nichts zu tun und sich innerlich weit zurückzulehnen und zu entspannen.
Es geht auch nicht darum, den Geist oder die Gefühle zu beruhigen, sondern das zu spüren, was der Kern unserer Aufmerksamkeit ist. Immer wieder diesen Kern des Ichs zu berühren, der vor jeder Erscheinung bereits da ist.

Aus der Tiefe an die Oberfläche blicken

Die Aufmerksamkeit selbst entspringt nicht dem Geist, sondern kommt aus einer tieferen Ebene des Selbst. Das Bewusstsein wird für die Forschung immer ein Rätsel bleiben, da es nicht ergründbar ist. In der Praxis lernt man, es nicht zu verstehen, sondern es einfach zu sein. Dabei stößt man auf Phänomene des tieferen Bewusstseins (andere würden „höher“ sagen), welches geprägt ist von Qualitäten wie Frieden, Liebe und Ausdehnung. Diese Phänomene sind ein erster guter Halt für das aufmerksame Beobachten. Wir können die Aufmerksamkeit darin fixieren und diese schönen Qualitäten als unsere wahre Natur akzeptieren.

Es gibt aber den Punkt, an welchem wir auch diese Phänomene loslassen und tiefer gleiten. In ein stilles Nichts, in welchem die Kreation verschwindet. Bevor es aber dazu kommt werden wir erkennen, wie sich die Art, Gedanken wahrzunehmen geändert hat. Sie kommen jetzt langsamer, gehören nicht mehr wirklich zu uns, sondern sind ein allgemeines Phänomen. Wir sehen, dass es nicht unsere Gedanken sind und sie sich im Zusammensein mit anderen Menschen verändern oder fremd werden – wir teilen alle einen Gedankenraum, der nun sichtbar wird.

Es ist ein Raum, der nicht mehr unsere Identität ist, obwohl er noch unsere alltäglichen Handlungen bestimmt. Wir sehen, wie Körper und Geist reagieren aber diese Reaktionen über die Zeit schwächer werden, da sie von der Aufmerksamkeit nicht mehr bestärkt werden. Wir können befreiter unserer Arbeit nachgehen, ohne z.B. Gedanken über das Urteil anderer verfolgen zu müssen.

Aber welchen Weg auch immer wir gehen, um das wild wuchernde Gedankenleben in den Griff zu bekommen. Irgendwas sollte getan werden und das sollte genauso selbstverständlich sein, wie die regelmäßige Körperpflege. Im Grunde stellt es die Lösung all unserer Probleme dar, oder?