Wie viele Gedanken hat der normale Mensch so am Tag? Hunderte...
oder Tausend?
Nach kurzer Recherche im Netz findet man da
Größenordnungen von 35.000-70.000 Gedanken am Tag. Nimmt man davon
einen ungefähren Durchschnitt kommt man auf 18-20 Millionen Gedanken
im Jahr. Ich denke, das könnte so in etwa stimmen. Klingt jedenfalls
nach viel Arbeit im Kopf...
Gedankenstränge
Dabei müsste eigentlich unterschieden werden zwischen zwei
Gedankensträngen, die man als aufmerksamer Beobachter leicht
erkennen kann.
Der eine Strang an Gedanken ist sehr allgemein,
unbewertet und nahezu unbemerkt. Darunter fallen Gedanken, wie: „da
ist ein Baum“, „ein Auto fährt vorbei“, etc. Es sind wertfreie
Gedanken, die keinen persönlichen Bezug haben und die auch keine
Probleme schaffen.
Dann ist da noch der zweite Strang an
Gedanken, der den Kern unseres Egos bildet, da er die ersten Gedanken persönlich einfärbt. Aus dem Gedanken: „jetzt
einen Salat machen“ wird „ich habe Sorge, der Salat schmeckt
meinen Gästen nicht“. Hier werden die Gedanken mit Erinnerungen und Erwartungen verknüpft,
welche wiederum Emotionen triggern.
Ohne diesen zweiten Strang an Gedanken gäbe es keine wirklichen
Probleme. Wir würden uns als räumliche undefinierte Wesen
wahrnehmen, die lediglich Beobachter dieser Welt sind. Das mag nicht für jeden
attraktiv klingen. Es ist aber ein ungemein schöner und befreiter
Zustand, der sich sehr natürlich anfühlt.
Die meisten Menschen können erfahrungsgemäß nicht aufhören zu
denken, auch nicht, wenn sie dazu aufgefordert werden oder es aus
eigener Kraft versuchen. Die Aufmerksamkeit hört unaufhörlich dem
Strom der Gedanken zu und versinkt regelrecht darin.
Das
bedeutet, unser einziges Kapital über welches wir tatsächlich
verfügen, nämlich unsere Aufmerksamkeit, versinkt im steten Fluss
meist überflüssiger, alles kommentierender Gedanken.
Die Grenze zum Irrsinn
Noch erschreckender ist vielleicht die Aussage, die ich in einem
Artikel auf Zeit online fand, dass lediglich 15 Prozent der
Gedanken als positiv bewertet werden können. Andere Quellen sprechen
sogar von nur 3 Prozent positiven Gedanken. Immer soll im Verhältnis der Anteil negativer Gedanken deutlich höher sein. Die Zahlen mögen vielleicht innerhalb der Beobachtungen drastisch abweichen. Es geht an dieser Stelle nicht
um die Analyse einzelner Studien, sondern um die nachvollziehbare
Aussage, dass wir viel und oft zu schlecht denken. Das bedeutet, es wäre besser, könnten wir den inneren Kommentator besser im Zaum halten.
Ein überaktives Gedankenleben geht so weit, dass Menschen endlose
innere Diskussionen und sogar imaginäre Streitgespräche führen
und irgendwann kaum noch unterscheiden können zwischen den
tatsächlich stattgefundenen und den eingebildeten Gesprächen. Wer
in dem Zusammenhang schon einmal Ziel höchst seltsamer und abstruser Anschuldigungen
war, etwas Bestimmtes gesagt oder getan zu haben, weiß vielleicht
worüber ich hier schreibe.
Sicherlich liegt ein Problem darin, dass sich das Gedankenleben
mit Glaubenssätzen belädt. Alleine der Glaubenssatz, dass die
beobachteten Gedanken wichtig oder richtig sind, ist absurd.
Der
Glaubenssatz an sich besteht dabei aus sich selbst immer wieder
bestätigenden Gedanken. Etwas wird als Tatsache akzeptiert und unsere
Beziehung zur Lebenswelt gestaltet sich um diese fixe Vorstellung.
Glaubenssätze, wie: „Person xy ist böse“ oder „ich bin
wertlos“, werden und müssen sich immer wieder selbst bestätigen.
Ein unbestätigter Glaubenssatz würde die Integrität desselben in
Frage stellen und damit auch die Integrität des Egos. Das Ego ist
lieber wertlos und suizidgefährdet als nicht existent.
Das Ego, eigentlich nur bestehend aus Gedanken und Glaubenssätzen,
erschafft die scheinbare Integrität zwischen körperlichen und
geistigen Phänomenen und kreiert damit eine Person, die es in der
reinen Erfahrung nicht gibt. Zudem stellt es eine Abgrenzung zwischen
Subjekt und Objekt her. Dieses Konstrukt aus Erinnerungen und fixen
Ideen wird sich immer selbst schützen.
Gruppenwirkung
Ein stark verbreitetes, negativ gefärbtes Gedankenleben ist
gesellschaftlich betrachtet durchaus ein Desaster. Es bedeutet, wir
befruchten uns gegenseitig mit unangenehmen Schwingungen, welche
wiederum zu negativen Emotionen und einer tendenziell negativen
Haltung führen.
Erschwerend kommt hinzu, dass es einfacher ist, eine Gruppe von Menschen mit einer
negativen Stimmung anzustecken als das Gegenteil zu tun und die
Gruppe auf ein hoffnungsvolles oder vielleicht sogar glückliches
Niveau anzuheben. Es reicht bereits ein richtig mies gelaunter
Zeitgenosse, um eine Gruppe von Mitmenschen mit schlechter Stimmung anzustecken.
Ich sage immer, man sollte äußerst umsichtig sein, mit wem
man so seine Zeit verbringt.
Hut ab vor Künstlern, die alleine einen ganzen Saal
zum Lachen bringen können. Das ist kein leichtes Unterfangen, wird
aber zumindest durch den Fokus und die gute Absicht der (hoffentlich)
meisten Zuschauer erleichtert, eine schöne Zeit verleben zu wollen. Ohne
gute Absicht hat es der Künstler nicht nur schwer, sondern seine
Bemühungen bleiben garantiert wirkungslos.
Wie immer, können wir nur bei uns selbst beginnen, etwas an
unserem inneren Fokus zu ändern.
Übung der Gedankenkontrolle vs. professionellem Nichtstun
Die Idee liegt nah, das Gedankenleben aktiv kontrollieren zu
wollen, um über positive Gedanken direkt die Lebensqualität zu
erhöhen. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass negative
Gedanken nicht gut für uns sind und das Leben auf allen Ebenen
verschlechtern.
Entsprechend möchte ich den Versuch der Gedankenkontrolle auch
gar nicht als ein schlechtes Vorhaben verurteilen. Es gibt Übungen, die durchaus einen guten Effekt haben. Ich habe da in der
Vergangenheit ein paar Praktiken getestet.
Wie zum Beispiel das positive Denken im Intervall: Über einen Zeitraum von 2 Stunden muss man in jeder
einzelnen Minute für 10 Sekunden intensiv an etwas Positives denken.
Klar, es ist ziemlich herausfordernd, das 2 Stunden durchzuhalten. Die Übung funktioniert am besten mit einem Intervalltimer... und viel
Ausdauer. Dabei wird trainiert, die Aufmerksamkeit auf positive,
aufbauende Gedanken zu legen. Es ist anfangs nicht so leicht,
jede Minute eine positive Vorstellung ins Bewusstsein zu bringen –
nach 2 Stunden wird es aber zu einer Art Gewohnheit. Es lohnt sich,
dies wenigstens einmal auszuprobieren.
Das ist eine spannende Übung, die sich aber in meiner täglichen Übungspraxis nicht durchsetzen konnte,
da mein Bestreben immer darin lag, meine innere Natur kennenzulernen
und dem näher zu kommen, was für diese ganze wunderbare Kreation
verantwortlich ist. Und dafür gibt es direktere Wege, welche
beiläufig auch die Beziehung zu aufkommenden Gedanken drastisch
verändern. Die Wege sind aber für jeden verschieden, deshalb
wollte ich andere Möglichkeiten wenigstens kurz anreißen.
In spirituellen Traditionen begegnet man immer wieder der Aussage,
dass die Freiheit von Gedanken ein wichtiger Faktor für die
spirituelle Entwicklung ist... nun, eigentlich muss die Aussage präzisiert werden. Es geht eigentlich
nur um die Freiheit vom oben angesprochenen zweiten Gedankenstrang.
Das ruhige, absichtslose Sitzen und reine Beobachten hat sich für
mich als Offenbarung herausgestellt. Ja, ja, es sieht aus wie Nichtstun aber es ist viel erfüllender als jede Form des Nichtstuns, von der ich zuvor
glaubte, dass es Nichtstun sei. Gutes Nichtstun ist eine Kunstform,
die meistens viel Zeit erfordert, damit man es zur Meisterschaft und
ultimativen Befreiung bringen kann. Sie hat auch rein gar nichts mit
Untätigkeit oder Faulheit zu tun. Im Gegenteil, es erfordert einen
enormen Fokus, um die Art der Wahrnehmung zu ändern, mit der wir
aufgewachsen sind.
Dazu müssen wir lernen, unsere Aufmerksamkeit zu bemerken, was
erst einmal widersprüchlich klingt. Reines Beobachten erlaubt es,
noch vor dem inneren Kommentator alles zu bemerken. Wir erkennen z.B.
den Gedanken und die Bewegung im Geiste, diesen Gedanken
interpretieren und färben zu wollen. Wir erkennen die damit
verbundenen Gefühle, die körperlichen Empfindungen. All dies wird durch reines Beobachtung zu einem
einzigen zusammengehörigen Phänomen im Raum.
Das Beobachten ist etwas, das wir
automatisch immer tun. Wir müssen uns nun aber mit dem
identifizieren, was die Gedanken und alle anderen Erscheinungen
bemerkt. Das bedeutet nichts zu tun und sich innerlich weit
zurückzulehnen und zu entspannen.
Es geht auch nicht darum, den
Geist oder die Gefühle zu beruhigen, sondern das zu spüren, was der
Kern unserer Aufmerksamkeit ist. Immer wieder diesen Kern des Ichs zu
berühren, der vor jeder Erscheinung bereits da ist.
Aus der Tiefe an die Oberfläche blicken
Die Aufmerksamkeit selbst entspringt nicht dem Geist, sondern kommt
aus einer tieferen Ebene des Selbst. Das Bewusstsein wird für die
Forschung immer ein Rätsel bleiben, da es nicht ergründbar ist. In
der Praxis lernt man, es nicht zu verstehen, sondern es einfach zu
sein. Dabei stößt man auf Phänomene des tieferen Bewusstseins
(andere würden „höher“ sagen), welches geprägt ist von
Qualitäten wie Frieden, Liebe und Ausdehnung. Diese Phänomene sind
ein erster guter Halt für das aufmerksame Beobachten. Wir können
die Aufmerksamkeit darin fixieren und diese schönen Qualitäten als
unsere wahre Natur akzeptieren.
Es gibt aber den Punkt, an welchem wir auch diese Phänomene
loslassen und tiefer gleiten. In ein stilles Nichts, in welchem die
Kreation verschwindet. Bevor es aber dazu kommt werden wir erkennen,
wie sich die Art, Gedanken wahrzunehmen geändert hat. Sie kommen
jetzt langsamer, gehören nicht mehr wirklich zu uns, sondern sind
ein allgemeines Phänomen. Wir sehen, dass es nicht unsere Gedanken
sind und sie sich im Zusammensein mit anderen Menschen verändern
oder fremd werden – wir teilen alle einen Gedankenraum, der nun
sichtbar wird.
Es ist ein Raum, der nicht mehr unsere Identität ist, obwohl er
noch unsere alltäglichen Handlungen bestimmt. Wir sehen, wie Körper
und Geist reagieren aber diese Reaktionen über die Zeit schwächer
werden, da sie von der Aufmerksamkeit nicht mehr bestärkt werden.
Wir können befreiter unserer Arbeit nachgehen, ohne z.B. Gedanken
über das Urteil anderer verfolgen zu müssen.
Aber welchen Weg auch immer wir gehen, um das wild wuchernde
Gedankenleben in den Griff zu bekommen. Irgendwas sollte getan werden
und das sollte genauso selbstverständlich sein, wie die regelmäßige
Körperpflege. Im Grunde stellt es die Lösung all unserer Probleme
dar, oder?