Sonntag, 31. Januar 2021

Aufmerksames Spüren

Ich war öfters überrascht von einer inneren Einladung in Form eines aufkommenden Gefühls. Erst subtil, dann immer stärker werdend, von unbekannter Herkunft. Das Gefühl lädt zu Beginn ein, intensiv auf die Suche nach etwas zu gehen. Etwas Aufregendes, Unbekanntes, das sich nicht richtig (be-)greifen lässt.
Wir greifen mit diesem inneren Drängen zu Beginn nach mehr Erkenntnis, mehr Wissen, mehr Erfahrungen. Das Leben bereichern, das Leben verstehen, das Leben bändigen... Das scheinen anfangs die Motive zu sein, die jemanden antreiben, dem dieses merkwürdige Drängen überkommt. Die erste Reaktion auf dieses Drängen mündet für viele in esoterischen Welten, in psychologischen Ratgebern, in philosophischen Weltanschauungen, in magischen Methoden und allem, was das Leben (und natürlich uns selbst) irgendwie zu bändigen verspricht. Alles, was halbwegs verspricht den Schmerz und den Schrecken des Lebens zu nehmen und dabei den Erkenntnisraum zu erweitern.

Gesichter der Erlösung

Dieses beschriebene Phänomen eines starken inneren Drängens nach einer Art - nennen wir es Erlösung - ist ein Ausdruck dieser Reise, welche man eigentlich nicht näher benennen kann. „Erlösung“ ist aber ein durchaus zutreffender Begriff, da sich dieses innere Drängen als eine Suche nach selbiger interpretieren lässt.
Im Grunde mündet die Suche nach Erlösung aber in der Ergründung des Wesenskerns und der letztlichen Erkenntnis, dass es in dieser, von uns akzeptierten irdischen Realität, keine Erlösung von den Beschwerlichkeiten des Daseins und des unweigerlichen Todes gibt. Der Tod bleibt abwartend in bedrohlicher Nähe und lässt sich (glücklicherweise) nicht ausräumen. Wir mögen verblendet sein und ein Weilchen daran glauben, das Leben durch Erfolg und eine gesunde Lebensweise gezähmt zu haben – der Tod wird uns aber stetig seine Namen in den Nacken hauchen, bis auch der letzte seine eigene Endlichkeit begriffen hat.
Die Form der Erlösung, welche aber weder Tod noch Leben niederringen möchte, hat nicht dieses Damoklesschwert über dem empfindlichen Haupt schweben. Sie ist frei von den Bedingungen der irdischen Existenz. Sie beginnt vor den Begrifflichkeiten von Leben und Tod und hat ihren Ursprung jenseits aller Bedingungen und Beschreibungen, jenseits der Wirkungswelt des Geistes.

Dankbare Entscheidungslosigkeit

Entsprechend ist es dem Menschen in seiner Identifikation als Person - und damit innerhalb der Fesseln von Existieren und Sterben - eigentlich nicht möglich, diese Reise selbst anzutreten. Wir gehen diesen bestimmten Lebensweg oder nicht, da gibt es keine wirkliche Entscheidung einer Person. Es ist doch nachvollziehbar, dass Menschen, welche diesen inneren Ruf nie vernahmen, eher mit Unverständnis auf diese esoterischen Spinner und Heilssucher blicken bzw. auf Leute die ihr Leben der Meditation und ähnlichen lebensfernen Praktiken widmen.

Dabei ist es eine kompromisslose aber dankbare Einladung, ein unerschütterliches Drängen, das recht wenige Menschen überkommt. Begleitet von einem Hochgefühl, welches uns auffordert, uns ganz auf diese inneren Welten einzulassen. Die Stille, welche sich im Bewusstsein offenbart, die bedingungslose Liebe, so losgelöst von alten Begrenzungen, ist die beständige Richtschnur. Loslassen können, was Sicherheit und Anerkennung verspricht und verloren gehen in lichter Leichtigkeit.

Eine spezifische Qualität der Aufmerksamkeit

An verschiedenen Stellen in diesem Blog wurde die Ergründung des Selbst mithilfe spezifischer Techniken besprochen. Durch gezieltes Fragen und Innehalten hebelt sich der aktive, identifizierte Geist selbst aus. Gleich einem Dorn, mit welchem wir einen Dorn entfernen, wird ein Gedanke ins Bewusstsein entlassen, welcher das Gedankenleben ausbremst. Das Innehalten in dem, was sich dabei offenbart geht mit aufmerksamem Spüren einher.
Spüren ohne Gedanken ist ein sinnliches Empfinden, von allem, was sich offenbart. Das Gefühl der Ausdehnung, welche das Erkennen des Selbst oft begleitet, aber auch die Emotionen und Körperempfindungen, die dabei Erlösung finden. Alles zu erfühlen und „inne zu halten“ im besten Sinne des Wortes, womit gemeint ist, dass wir diese Empfindungen aufmerksam im Bewusstsein halten.
Die dafür benötigte Achtsamkeit bedarf einer Loslösung vom Alltagsbewusstsein, die in erster Linie durch beständiges Üben erreicht wird. Das dadurch gewonnene Vermögen, urteilsfrei spüren zu können, ist unfassbar erlösend. Man kann diese Fähigkeit nur zu schätzen wissen, wenn man sie selbst erlebt hat, da der gesellschaftlich erlernte Impuls, über das Erfühlte nachzudenken, diese freie Bewegung im Bewusstsein normalerweise kaum erlaubt.
Freies Erspüren sowohl innerer als auch äußerer Welten führt immer zu dem einen Ziel: der Ergründung des Selbst, dem Erforschen des eigenen Wesens. Jede Erscheinung, jedes noch so traurige Gefühl, zeigt im erlösten Erspüren seinen wahren Kern und Ursprung und wandelt sich scheinbar in Empfindungen von Liebe und Weite.

Daher wird das Loslassen immer wieder derart betont. Es ist eine Mischung aus diesem befreiten Erleben bzw. aufmerksamen Spüren sämtlicher Erscheinungen und der Fähigkeit, den Geist dabei nicht zu bedienen und die Gedanken nicht zu verfolgen. Das klingt vielleicht zunächst recht technisch, ist aber ein natürliches und freies Erleben, welches zu reiner Gewahrsamkeit führt.



 

Freitag, 15. Januar 2021

Mürbe Macht

Das anhaltende Einsperren und Aussperren, die fantasievollen Verbote und Einschränkungen, treffen mittlerweile viele Menschen auf unterschiedlichen Ebenen empfindlich in ihrer Lebensführung. Manche kämpfen profan um die finanzielle Existenz, andere innerlich gegen die Einsamkeit, wieder anderen wächst der Stress zwischen Kinderbetreuung und Homeoffice über das geplagte Haupt.

Konstruierte Spaltung

Von allen Seiten ist zu spüren, wie Leute aller Couleur mürbe werden. Mürbe sind die Gemüter, zermürbend die lenkende Macht, welche das Leben in unerfreuliche Fahrwasser steuert. Zu genau möchten viele nicht hinsehen, wollen nicht hören, dass dieser Lockdown eine höchst politische und zugleich unwissenschaftliche Lösung für ein medial zur Unkenntlichkeit aufgeblähtes Problem ist.
Für viele geächtete Widerständler steckt die einst bewegte Zeit des Aufklärens und der Rebellion im Trübsal der sumpfigen Aussichtslosigkeit fest. Die Weichen sind alle gestellt, der Schicksalszug hat längst seine Höchstgeschwindigkeit erreicht.
Erstaunlich ist der Opfermut der Gegenseite unserer künstlich gespaltenen Gesellschaft. Sie steht noch immer begeistert an den Gleisen und winkt eifrig ihrem alten Leben nach, fest daran glaubend, dass Regierungen dazu da sind, sich ganz doll um uns zu sorgen. Die Lektionen der Geschichte perlen an ihnen ab – ein faszinierender Lotus-Effekt, dessen Ingredienzien (bestehend aus kollektiver Gutgläubigkeit und Bequemlichkeit) jeden kritischen Gedanken abgleiten lassen.
Schaltet man den Fernseher ein oder schlägt die Zeitung auf, vernimmt man ebenfalls wenig Kritisches. Kaum jemand berichtet über Gescheiterte, Depressive, über Suizide und Gefährdete. Dabei knirscht es, wo man hinschaut, im existenziellen Gebälk.

Neue Normalität = Zeit des inneren Prüfens

„The new normal“ wurde bereits, das hat man schon fast verdrängt, vor bald einem Jahr medial prophezeit - teils hübsch illustriert aber dennoch haarsträubend böse wirkend. Man hat den Verdacht, dass die Umsetzung der neuen Normalität noch gar nicht zur vollen Blüte gereift ist.

Ich bin selbst ein auf mehreren beschriebenen Ebenen Betroffener. Das Leben kann aber noch deutlich kreativer zuschlagen – mit mehr Wucht und Fantasie, als es die Drahtzieher der Krise jemals mit ihren einfachen Gemütern erdenken könnten. Dennoch will ich nicht leugnen, dass die momentane Lage teils herausfordernd und anstrengend ist und dass das Leben diese konstruierte Krise gerne mit weiteren Schrecken garniert.
Irgendwie, man verzeihe mir das Wortspiel, bin ich ein verfehlter Betroffener im Sinne von getroffen sein; heißt: mir geht es unverzeihlich gut. Einfach, weil ich empfinde, dass dies unser Geburtsrecht ist, weil es unserem Wesenskern entspricht. Weil ich jeden Tag auf das blicke, was von diesem ganzen Theater völlig unbeeindruckt ist. Und das bin ich selbst und jeder andere ebenso. Ich hoffe, dass dies viele Menschen realisieren dürfen, denn jene Perspektive erlaubt uns, auch in schwierigeren Zeiten einfach mal zufrieden und gut drauf zu sein. „Gut drauf“ ist jetzt nicht unbedingt die in dem Kontext passendste Ausdrucksweise, klingt aber griffig.
Jeder Ausdruck von Freude oder Glück ist natürlich etwas, das immer irgendwie kommen und gehen muss. Es kommt jedoch öfter in der Folge eines unabsichtlich konsequent gegen den Strom schwimmenden Lebensstils, der keine Rücksicht auf Normen und eine gelungene gesellschaftliche Positionierung der eigenen Person nimmt. Aber wen jucken Konventionen, gerade jetzt, wo ohnehin alles auf Talfahrt ist?
Talfahrt oder goldene Zeiten, darum geht es natürlich nicht. Im Grunde muss die Lebensführung in jeder Lage für eine glücklichere Ausrichtung mehr gefühlt als gedacht sein, mehr gesessen als gerannt, mehr im Innern als im Außen. Alle Tugenden der Rationalität, der Strebsamkeit, des Eifers, der Zielstrebigkeit sind totaler Mist, wenn man wirklich erfüllt sein möchte. Gesellschaftliche Normen und Tugenden dienen meist der Kontrolle und der Ordnung; sie bringen aber niemanden ans Ziel, da sie ein falsches Ego, ein Trugbild stärken. Und wir streben doch immer, ob in wirren oder ruhigen Zeiten, ob wir arm oder reich sind, gefühlt oben oder unten, mehr dem Glück entgegen.

Lass das Glück los

Kommt dieses Glück öfter, ist die Gelegenheit da, auch dieses zu prüfen und nicht daran zu klammern. Es kommt und geht beschwingter in einem Raum erweiterter Gewahrsamkeit und mit gesteigerter Fähigkeit, einfach alles loslassen zu können. In einem engen Mental-Kerker fühlt sich das Glück hingegen nicht zu Hause. Es wird abgestoßen durch Planung, durch Gier, durch jeden Versuch, seiner Habhaft zu werden. Glück, genau wie bedingungslose Liebe, müssen frei fließen können.

Dieser Raum, in welchem Glück stattfinden kann, diese Empfindung von Ausdehnung über die Sinnlichkeit hinaus, ist tiefer als das Glück selbst. Glück ist ein Ausdruck oder eine Qualität unserer Seele, aber selbst tiefes Glück berührt noch lange nicht die Quelle unseres Seins. Es ist dennoch ein guter Wegweiser.
Letztendlich spielt in dem Erleben unserer Seele, unseres Selbst, am Ende auch das Glück keine entscheidende Rolle mehr. Das Glück mag zwar ein willkommener Besucher sein, aber es ist nicht das Ziel der Suche. Somit ist auch jede andere Erscheinung im Leben mehr oder weniger willkommen, aber niemals etwas, das dem innersten Frieden gleichkommt.
Jede dieser empfundenen Bewegungen, so nett oder so krampfig sie auch sein mögen, sind, und da wiederhole ich mich wiederholt, Gelegenheiten, die Aufmerksamkeit zu schulen, und den inneren Raum zu erkennen, in welchem alles stattfindet.

Aufmerksamkeits-Aikido

Im Erleben dieses inneren Raumes wandelt sich das ernste Drama des Lebens zu einem Theaterstück in unserem Selbst. Ein Schauspiel des Lebens, das nur in uns stattfindet und dadurch seinen Schrecken verliert.
Das Drama wird als Folge des Perspektivwechsels entmachtet, aber es wird immer nach dem Greifen, was uns wieder in seinen Bann ziehen kann. Es wird alles tun, um unsere Aufmerksamkeit auf die Gedanken zu richten, damit der Mindfuck uns wieder in den Kerker des selbstkreierten Schreckens sperren kann.
Wie in einem inneren Aikido ist es aber mit Übung möglich, die Gedanken frei vorbeigleiten zu lassen, ohne Energie darauf zu verschwenden und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf das Fühlen der inneren Welten zu legen. Der durch die Gedanken aufgebaute innere Druck in Form von Ängsten oder Sorgen ist dabei ein willkommenes Mittel der Wahl - eine Kraft die durch bloße Aufmerksamkeit umgewandelt wird.
Im Fühlen und Verorten dieser Empfindungen im Körper, wird sowohl die Natur des Gefühls gewahr als auch Natur des Beobachters, welcher dieses Gefühl erkennt – hilfreich kann diese Meditation sein. In dem Moment wird das negative Gefühl zu einer Möglichkeit, tiefer in die Natur des Selbst einzutauchen. 

Auf diese Weise kann die Krise zum Hilfsmittel werden – nicht im Sinne des Erfinders, aber gerade deshalb umso besser.