Sonntag, 27. September 2020
Sonntag, 6. September 2020
Memento mori
Memento
mori
„Memento
Mori“ ist die Aufforderung, sich des eigenen Sterbens bewusst zu
werden, sich an seine Sterblichkeit zu erinnern. Ursprünglich beruht
dieser lateinische Spruch auf einer Bewegung in der mittelalterlichen
Kirche. Ausgehend vom Benediktinerkloster Cluny in Burgund, sollte
dieser Spruch die Ernsthaftigkeit im klösterlichen Handeln
bestärken. Der Tod kommt schneller, als dir lieb sein mag, also
nutze die Zeit besser mit Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit im
klösterlichen Leben. So stärkten die Benediktinermönche ihre
Konzentration auf die geistige Welt und ihre Regeln, da das irdische
Leben nun einmal vergänglich ist.
Dieses
Thema findet sich natürlich auch an anderen Stellen in der
Geschichte, nicht nur im Mittelalter, und es wird die Menschheit
immer inspirieren, auch wenn die meisten Menschen ein „Memento
mori“ als morbide und vor allem als überflüssig ansehen. Mit dem
Ergebnis, dass der Tod verdrängt und das näher rückende Sterben
mit Angst belegt sein wird. Der eigene Tod scheint ein
verdrängenswertes Ereignis zu sein, mit dem man sich nur befasst,
wenn es um die Weitergabe des Mammons geht und das Erbe geregelt
werden soll. Man befasst sich lieber mit dem Leben und vertraut
darauf, dass es hoffentlich länger als erwartet sein wird.
Dabei
sterben wir jede Nacht. Im Tiefschlaf sind wir nicht mehr vorhanden,
auch wenn uns der Verstand etwas anderes sagen mag, indem er daran
erinnert, dass wir lediglich friedlich im Bett lagen und der
anbrechende Tag auf uns wartete. Die Realität ist aber, dass wir in
den Stunden des Tiefschlafs als Person nicht stattfinden. Keine
Gedanken, denen wir beharrlich folgen, kein Körperempfinden, dass
uns unsere Existenz bestätigt, keine Erlebnisse, die uns so wichtig
sind. Es ist umso komischer, dass dies die erholsamsten Stunden im 24
Stunden Zyklus eines Tages sind. Niemand ist zudem erfreut darüber,
aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, aus dem süßen Nichtsein. Das
Leben weist uns also bereits jeden Tag aufs Neue darauf hin, dass
unsere Nichtexistenz kein Drama ist, sondern ein äußerst
entspannter Zustand.
Betrachten
wir es rational, dann ist unser Leben nicht lang – das realisieren
wir spätestens in der sogenannten Mitte des Lebens. Unser „food
body“ wie Nisargadatta Maharaj unseren Körper nannte, existiert
nur eine relativ kurze Zeit und auch nur, solange er gefüttert wird.
Er ist das wundersame Produkt von Eizelle und Sperma und wird
erhalten durch die Nahrung, die wir in eine Öffnung im Kopf
einführen. Die Nahrung wandert durch den Körper, der automatisch
die wesentlichen Nahrungsbestandteile nutzt und den Rest durch eine
andere Körperöffnung am anderen Körperende wieder ausscheidet. Das
ist alles wie ein sehr merkwürdiger Traum und hat nichts mit unserem
eigentlichen Wesen zu tun, dennoch stellen wir eine Beziehung zu
diesem Körperautomaten her. Diese Beziehung geht so weit – und das
ist das eigentliche Dilemma - dass wir uns komplett mit diesem Körper
und den Gedanken und Gefühlen, die er uns vermittelt,
identifizieren.
Das
„Memento mori“ kann eigentlich nur als Chance betrachtet werden,
diese Identifikation in Frage zu stellen. Vielleicht wehren wir uns
ja so sehr gegen den Tod, weil er einfach nicht wahr ist. Lassen wir
unsere Gedanken und Erinnerungen bzw. unsere sogenannten
Lebenserfahrungen, die in der Erinnerung stattfinden, weg, dann
schaut das immer gleiche Wesen aus unseren Augen, ganz gleich, wie
alt der Körper sein mag. Dieses Wesen ist so nah, dass wir es
übersehen. Gedanken können es nicht erfassen. Wir werden uns seiner
nur bewusst, wenn wir gelernt haben, still zu sein.
Somit
ist ein Gedenken an den eigenen Tod in erster Linie eine Motivation
bereits während des Lebens zu sterben, was bedeutet, sich, während
man noch atmet, seiner eigenen Natur bewusst zu werden. Zu erkennen,
dass das niemals geboren wurde und damit niemals sterben kann. Diese
Erkenntnis kann in jedem Menschen erwachen, niemand muss daran
glauben.
Der
Glaube kann ein Werkzeug sein, aber er ist beileibe nicht notwendig,
in den meisten Fällen sogar eher hinderlich. Es geht vielmehr darum,
beharrlich zu forschen und alles genau zu beobachten, ohne sich durch
Geist und Glaube zu beschränken. Wir sind z.B. in der Lage, jede
Bewegung und jede Stille in unserem Gedankenleben zu erkennen. Warum?
Weil wir kein Gedanke sind, sondern das, worin Gedanken stattfinden
können. Dasselbe gilt für unseren Körper: jede Empfindung, jedes
Magengrummeln, jedes Jucken und Zwicken können wir aufmerksam
verfolgen. Wir existieren vor dem Jucken, während und danach. Es
findet in uns statt, der ganze Körper findet in uns statt. Wir
können mit geschlossenen Augen alle Geräusche wahrnehmen: Musik,
Autos, das Rauschen der Blätter, Vogelgezwitscher... alle Geräusche
finden in uns statt und machen uns deutlich, dass wir das Zentrum von
allem sind, dass sich alles in unserem Bewusstsein abspielt. Das ist
die direkte Erfahrung, die Realität. Die Gedanken wollen uns eine
andere Geschichte erzählen, die Story von uns als Körper in der
Welt, der etwas wahrnimmt und darin lebt – eine Geschichte, die
rein gar nichts mit der Erfahrung zu tun hat, sondern lediglich ein
Glaube ist. Das Leben an das wir Glauben ist ein Gedankenkonstrukt,
dass leicht widerlegt werden kann, wenn wir denn nur einen Moment
innehalten.
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