Samstag, 23. Mai 2020

Lebenslanges Wachstum

Ein riesiger Vorteil, den ich auf einer menschlichen Ebene in der Spiritualität i.S. des Erkennens des Selbst sehe, ist die Möglichkeit des lebenslangen Wachstums, der ständigen Veränderung. Denn genauso wie das Altern (vgl. hierzu https://freieintuition.blogspot.com/2020/03/bewusstsein-und-altern-wie-kannst-du.html ) ist auch der Stillstand im Leben ein befremdlicher Zustand für das Bewusstsein. Was bleibt für eine Aussicht, wenn die Familie gegründet, alle Karriereleitern erklommen und alle Hobbys ausgelebt wurden? Zumal vieles an Glanz und Spannung einbüßt mit den Jahren. Kein Wunder, dass viele Menschen in eine Midlifecrisis schlittern und sich ein Stück der jugendlichen Aufregung zurückholen wollen.
In jungen Jahren ist alles neu und spannend, der berufliche Weg steht noch offen, die Ideale sind noch frisch und die Welt wartet geradezu auf das persönliche Erblühen in allen Lebensbereichen. Das kann eine sehr befriedigende Zeit sein und den Menschen beflügeln.
Ein paar Jahrzehnte später hat sich das meist drastisch relativiert und mit zunehmenden Alter kann die Welt plötzlich wieder ein sehr kleiner Ort werden. Die Jahre fliegen dann einem dann nur so um die Ohren, während die Möglichkeiten zu schwinden scheinen. Natürlich variiert das von Mensch zu Mensch – die Tendenz ist aber bei den meisten zu beobachten.

Es ist nicht verwunderlich, dass besonders ab Mitte vierzig viele Menschen anfangen zu suchen. Nicht jeder kauft sich einen Porsche und sucht nach einem neuen, erschreckend jungen Partner. Manche begeben sich auf die Suche nach einem tieferen Sinn, der im profanen Leben nicht so leicht zu finden ist. Es wird nach Heilung für die Wunden gesucht, die das Leben so mit sich bringt. Manch einer findet dabei in der Meditation eine tiefere Befriedigung.
Aber warum ist das so?
Zunächst einmal beruhigt sich in der Meditation der Geist. Das geschieht meist schon in den Übungen, die als Meditation verkauft werden aber letztlich nur Konzentrations- oder Kontemplationsübungen sind.
Die Gedanken und damit die aktiven Wunschgedanken werden erst einmal weniger. Wenn dies geschieht kann das natürliche, innewohnende Glück zum Vorschein treten. Überdies finden Veränderungen in der Persönlichkeit statt.
In der eigentlichen Meditation wird das tiefere Selbst schrittweise erkannt. Der Mensch erlebt dadurch eine entsprechende Transformation mit der das Umfeld oft gar nicht zurecht kommt. Viele Beziehungen zerbrechen, wenn der Mensch sich verändert bzw. seine Weltsicht nicht mehr mit denen seiner Mitmenschen übereinstimmt. Es folgen manchmal Phasen des Alleinseins, nicht zu verwechseln mit Einsamkeit(!), und neuen Bekanntschaften, die besser die eigene Perspektive nachvollziehen können.
Für mich war in diesem Prozess immer spannend zu sehen, wie beliebig plötzlich die sogenannten eigenen Meinungen zu allen möglichen Themen werden. Meinungen oder Ansichten verlieren an Konsistenz und werden wechselhaft, wie es normalerweise nur bei jungen Menschen der Fall ist. Das ist nichts schlechtes, da Meinungen extrem austauschbar und im Grunde bloß festgefahrene Gedanken sind. Das Gedankenleben versucht sich durch eine Meinung zu orientieren und die Persönlichkeit zu festigen. Erkennt der Meditierende, dass die Person lediglich ein weiteres Bündel an Vorstellungen ist, lösen sich diese Bindungen an Meinungen einfach auf.
Den normalen Geist wird hierbei vielleicht die Sorge an eine wachsende Profillosigkeit, ein ungehöriges Desinteresse oder furchtbares Phlegma beschleichen. Und ja, die Sicht auf das Leben und die Teilhabe daran ändern sich durchaus – aber nicht zum Schlechteren. Es kann nicht schlechter sein, wenn der Mensch ruhiger, netter und mitfühlender wird... aber das mag jeder anders sehen.
Es ist jedenfalls spannend, wenn man keine Ahnung hat, mit welchen Augen, aus welcher Perspektive man das Leben im nächsten Jahr sehen darf. Ich erkenne, was vor fünf Jahren an Gedanken und Zielen präsent war und wie sich das über die Jahre ständig verändert hat. In dem Wissen, dass der eigenen Natur eine unendliche Tiefe innewohnt, kann kein Stillstand stattfinden. Es ist lebendig und spannend, bis zum letzten Ausatmen und darüber hinaus.

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