Donnerstag, 12. März 2020

Erfahrung und Wirklichkeit

Die Wirklichkeit basiert auf einer ausgesprochen subjektiven Wahrnehmungs- und Interpretationsebene. Aufgrund dieser subjektiven Verarbeitung - der auf uns einströmenden Eindrücke - haben wir oftmals unterschiedliche Bilder von der Wahrheit. Streitigkeiten darüber, wer nun recht hat, sind nicht umsonst so häufig. 
Alleine, die Ebene der Wahrheit in ihre Einflussebenen zu unterteilen... nun, eine müßige Angelegenheit. Das soll auch gar nicht Ziel des heutigen Textes sein.
Mich interessiert vielmehr die Frage, was Erfahrung eigentlich bedeutet und wie diese unsere Wirklichkeit bestimmt. Und ist das, was ich erfahre, auch die Wirklichkeit?
Das klingt erst einmal seltsam. Wir müssen uns jedoch die Instrumente vergegenwärtigen, mit denen wir Erfahrungen machen.
Unser Sehsinn beispielsweise verarbeitet den Bereich des sichtbaren Lichts, das bedeutet: einen kleinen Bruchteil des gesamten elektromagnetischen Wellenspektrums. Das elektromagnetische Spektrum stellt wiederum einen Bruchteil der gesamten Energie im Universum dar. Betrachtet man sich lediglich das elektromagnetische Spektrum können wir ohne Hilfsmittel kaum etwas davon wahrnehmen. Zudem lässt uns die Auflösung unserer Augen nur Objekte ab einer bestimmten Größe erkennen. Wir können z.B. keine Bakterien wahrnehmen oder theoretisch von der Erde nichts auf dem Mond sehen, was im Durchmesser nicht größer als 130km ist.
Das gleiche Spiel gilt auch für unsere anderen Sinne. Der Hörsinn kann nur einen bestimmten Freqenzbereich wahrnehmen - für alle anderen Frequenzen sind wir taub. Um es kurz zu machen, auch der Geschmackssinn, Geruchs- und Tastsinn haben begrenzte Rezeptoren für die Wahrnehmung.
Wir nehmen also nur einen winzigen Bereich der Wirklichkeit (soweit wir sie messen oder theoretisch bestimmen können) wahr. Wir nehmen insbesondere den Teil wahr, den unser Körper für sein Überleben braucht. Wir wissen, wann ein Feind kommt; wir können ihn hören und sehen. Wir nehmen wahr, wenn wir erfrieren oder verbrennen und schmecken, wenn etwas potentiell schlecht oder giftig ist.
Die Wahrnehmungsorgane sind wie bei (anderen) Tieren auf das Überleben und die Existenz auf diesem Planeten unter dieses Bedingungen ausgestattet. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber zu sagen, wir erkennen die Welt so, wie sie ist oder zu behaupten, was ich nicht sehe, das gibt es nicht, sind ungültige Aussagen. Ein Fehler, der über die vergangenen Jahrhunderte immer wieder gemacht wurde. Bevor z.B. das Mikroskop erfunden wurde, waren Kleinstorganismen für uns einfach nicht existent.

Und dann gibt es Wahrnehmungen und Erfahrungen, die das allgemeingültige Bild der Wirklichkeit völlig über den Haufen werfen. Über die Jahre der Meditation habe ich festgestellt, das sich unsere Sinneswahrnehmung erweitert, sobald wir die dafür notwendigen Rezeptoren freischalten. Ich möchte jetzt keine esoterischen Theorien für mögliche Erklärungen des Erfahrenen benutzen oder gar kreieren. Es ist schlichtweg eine Erfahrung, die ich mit anderen teile, die einen ähnlichen Erfahrungshintergrund haben. Es betrifft jedoch Bereiche, die normalerweise nicht sichtbar, hörbar oder anderweitig zu empfinden sind.
Ich gebe ein Beispiel, dass ich immer wieder von anderen höre und selbst ständig, mal stärker, mal schwächer erlebe. Die sichtbare Welt erscheint, sofern man viele Stunden Erfahrungen mit tieferen meditativen Zuständen gemacht hat, nicht mehr so dicht und fest wie zuvor. Sogenannte feste Objekte, ja sogar die Luft, fangen an zu wabern und sich in sich zu bewegen. Das wirkt am Anfang psychedelisch und erinnert an einen LSD Trip. Letztlich geschieht, was analog in der Meditation passiert: die Trennung zwischen den Dingen hebt sich sichtbar auf. Das heißt, die Tatsache, dass alles verschmilzt und Eins wird, ist eine Erfahrung in der Meditation, die sich auf das Sehen erweitert.
Auch weit verbreitet, bei mir jedoch seltener, ist ein Hintergrundsummen, kein Ton aus dem Frequenzbereich, sondern aus einem erweiterten Spektrum, der einfach da ist und zu einem Teil der erfahrenen Wirklichkeit wird.
Die Wirklichkeit ändert sich auch dahingehend, dass ein Sinn für die Gedanken entwickelt wird. Es wird in der Meditation deutlich, dass das, was ich bin, kein Gedanke ist. Gedanken werden lediglich erkannt ohne sich damit zu identifizieren. Dieses Erkennen hat zur Folge, dass der Strom an Gedanken sukzessive abnimmt. Man gewöhnt sich an mehr Stille. Pflegt man diese, werden zunächst die eigenen Gedanken auffälliger – sie werden leichter bemerkt. Nach einiger Zeit realisiert man, dass auch bestimmte Gedanken anderer Menschen wahrgenommen werden. Das ist kein sonderlich schöner Nebeneffekt, da besonders die negativen Gedanken in der Ruhe auffallen. Mittlerweile ist mit klar, dass es nicht meine und deine Gedanken gibt. Es existiert vielmehr ein einziges Gedankenfeld, auf das jeder nach individueller Prägung und damit verbundener Rezeptionsfähigkeit zugreift.
Ich erlebe noch mehr solcher Beispiele und die meisten Leute haben vereinzelt Erfahrungen, die sich nicht in das normale Bild einer Wirklichkeit einordnen lassen. Dann geschieht oft, was wohl die meisten Menschen mit nicht zu erklärenden Dingen machen. Sie werden verworfen, einfach weil sich diese Erfahrungen nicht mit den Erwartungen und der Haltung gegenüber der eigenen Realität in Übereinstimmung bringen lassen.
Das ist ein komplexes Thema und es lässt sich an dieser Stelle nur anreißen. Es wäre doch aber schade, wenn wir unser Leben und unsere Wirklichkeit nicht in ihrer Gänze erfahren wollen, nur weil es vielleicht unbequeme Anpassungen unserer Vorstellungen über diese Welt erfordert. Damit beschneiden wir uns unnötig selbst.



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