Erwacht oder nicht
erwacht – das ist keine Frage
Im
Geschäft um das Erwachen oder die Erleuchtung werden immer dieselben
Fehler begangen. Aus dem Mythos der Erleuchtung wird die
sprichwörtliche Karotte, die dem Esel vor die Nase gehalten wird.
Im
Netz kann man sogenannte erwachte Lehrer finden, die mit ihrer
Erfolgsquote von erwachten Schülern werben, ganz so wie es
Motivationslehrer mit ihren Schäfchen tun, wenn diese plötzlich
erfolgreich werden. In solchen Fällen geht es ums Geschäft und da
kann ein Meeting schon mal 500 Euro kosten. Immerhin, nicht viel
Geld, wenn es „life changing“ ist, oder?
Generell
wird viel über Erleuchtung bzw. Erwachen geredet und viel dazu
erklärt. Zu viel für meinen Geschmack.
Nehmen
wir einen typischen Suchenden, den es nach Erleuchtung giert und der
gar nicht so recht weiß, warum überhaupt. Klar, er hat eine Idee,
was das bedeuten könnte: Freiheit, nicht mehr leiden müssen,
unendliches Glück, ein besseres Leben... Jeder möchte eigentlich
glücklich und unbeschwert leben und niemand weiß so recht, wie er
es anstellen soll. Da kommt so eine schicke Erleuchtung gerade recht.
Also geht der Suchende zu jemanden, der ihm dabei helfen soll. Lange
muss er nicht suchen – das Angebot scheint größer als die
Nachfrage zu sein. So viele glückliche Erwachte, die ihre Dienste
feilbieten.
Wirklich,
wirklich viele... manche konnten sich auf dem Markt etablieren, touren durch Deutschland oder die Welt und machen
damit gutes Geld. Andere müssen sich da schon mehr abstrampeln und
kämpfen um jeden Kunden.
Ich
möchte den Quatsch gerne jeden ersparen, der diese Zeilen liest. Wer
nach Glück sucht, wird nicht um seine Probleme herumkommen, er muss
immer mitten durch. Das gilt für jeden, der glücklicher leben möchte. Da ist keine magische Erleuchtung, die plötzlich
alles wegzaubert und dich ins Nirvana schießt – nun, vielleicht
kurzzeitig, aber die harte Landung erfolgt garantiert.
Es
gibt den Prozess des Erwachens, der Realisierung dessen, was du bist.
Und manche stolpern regelrecht darüber und sind völlig
desorientiert. Die Geschichten von Leuten, die erwachen und völlig
verwirrt durchs Leben straucheln, kommen nicht von ungefähr. Aber
auch spontan Erwachte müssen sich ihren inneren Dämonen noch
stellen, sonst kann die Identifikation mit der fiktiven Person sich
wieder durch die Hintertür einschleichen und die Landung wird noch
härter, der Fall noch tiefer. Sie brauchen dann dringend einen
Lehrer, der sie dazu anhält, sich Zeit zu nehmen, die neue
Perspektive zu erforschen und eben nicht den erleuchteten Guru zu
spielen.
Neben
dem spontanen Erwachen gibt es den viel langsameren und vermutlich
auch sichereren Weg. Das schrittweise Begreifen, was du eben nicht
bist, um dann zu erkennen, was bleibt. Das braucht Zeit, nimmt aber
auch alle Illusionen und jeden Glauben an irgendwelchen Blödsinn.
Wer
diesen Weg ernsthaft beschreitet, verliert das Interesse an einer
mystischen Erleuchtungsidee. Es ist das Verstehen, dass das Leben
immer Schmerz und Herausforderungen für uns bereithält und wir
darauf reagieren. Da ist aber auch in der schwierigsten
Lebenssituation immer der Teil in uns, der von Schmerz (als auch
von oberflächlicher Freude) völlig frei ist. Dieser Teil ist immer
präsent und wir können ihn jeden Moment wachsen lassen. Das
erfordert Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und die stete Bereitschaft,
das, was da erwacht, an die erste Stelle zu setzen.
Kurz
gesagt, da ist einfach kein Platz mehr, sich um etwas wie Erleuchtung
Gedanken zu machen. Und es ist aus der Perspektive eines Lehrers
völlig lächerlich, diese Freiheit jemand anderem verkaufen zu
wollen. Ernsthafte Schüler werden sich immer ihren Lehrer bzw. Guru kümmern,
da er die Verkörperung dessen ist, was sie in sich selbst entdecken.
Aber das ist jenseits von jedem Business - da sind keine Erwartungen oder gar Verträge.
Die
allerwenigsten unter den Suchenden werden ernsthaft diesen Weg
beschreiten, wenn sie erst einmal begreifen, was es erfordert, dies
zu tun. Wer diesen Weg lange genug gegangen ist, muss das wissen und
wird von daher kein Interesse daran haben, irgendjemanden als Schüler
zu werben und daraus ein Geschäft zu machen. Er wird eher das
Gegenteil tun und nicht seine Zeit und die seiner Schüler mit Leuten vergeuden, die nach
Wegen suchen, ihre privaten Probleme zu lösen oder ihr Ego zu
stärken.
Entsprechend
sollte das Angebot vieler Lehrer ehrlicher werden: ihr wollt eine
gute Zeit mit euch verkaufen. Das ist okay. Aber lasst die Karotte
aus dem Spiel!