Nicht sein oder gar
nicht sein – Tiefschlaf, das „Ich bin“ und die Welten
Die
Freiheit, nicht sein zu müssen, sondern lediglich zu dürfen, ist
die schönste Befreiung von der Schwere des Lebens. Jede Nacht werden
wir daran erinnert und fallen in einen süßen Tiefschlaf, einen
Nicht-Zustand, der Abwesenheit von jedem Dasein. Das ist keine
unangenehme Zeit. Die Zeit, in der wir nicht sind, ist, im Gegenteil,
lebensnotwendig. Es ist reiner Genuß, nicht da sein zu müssen und
es ist scheinbar ein Lebenselixier für Körper und Geist.
Die
Person verschwindet in der Befreiung und wir werden jede Nacht daran
erinnert, wie gut sich das anfühlt. Ein wichtiger Hinweis ist, dass
wir ohne Tiefschlaf als Mensch gar nicht überleben können. So
anstrengend und fordernd ist der sogenannte Wachzustand, die Zeit der
Identifikation und des Dramas. Aber bevor wir aufwachen, kreiert
unser Bewusstsein eine Phase des Träumens. Auch in dieser Traumzeit
sind wir oft nicht die gleiche Person mit dem gleichen Leben und der
gleichen Familie, die wir vom Wachzustand gewohnt sind. Manchmal
spielen wir eine jüngere Version oder eine andere Person, haben neue
Freunde oder eine andere Liebschaft. Und das alles fühlt sich völlig
normal an, vielleicht aufregend aber nicht ungewohnt. So schnell und
so oft legt unser Bewusstsein jede Nacht ein neues Kleid an, dass es
eigentlich nachdenklich machen müsste.
Die
Tatsache, dass unsere tägliche Identifikation mit der Person im
Spiegel nur ein dünnes Brett ist, wird aber einfach so hingenommen.
Es war halt nur ein Traum. Dabei wird übersehen, dass die Empfindung
von „Ich“ völlig präsent ist: wir beobachten und handeln und
sind uns dessen bewusst. Wir erinnern uns sogar oft an die
Ereignisse, wenn wir aufwachen. D.h. sämtliche Funktionen unser
Tagesbewusstseins funktionieren in der alternativen Traumwelt. Dass
dieses „Ich“ problemlos tausende Varianten des Lebens spielt, ohne
dabei mit der Wimper zu zucken, sollte durchaus Beachtung finden. Es
ist ein wichtiger Hinweis auf die Natur unseres „Ichs“ und
darauf, dass unser sogenanntes Leben nur auf äußerst dünnem Eis
steht. Selbst unsere Erinnerungen sind im Tiefschlaf vollständig und
im Traum oft zu großen Teilen ausgelöscht. Die kurze Existenz des
Traumlebens wird als als vollständige Welt und was wir sind
akzeptiert.
Was
macht unser Leben sonst aus? Innerhalb von 24 Stunden verlieren wir
immer wieder unsere Identität, unsere Welt, unsere Erinnerungen und
sogar unser Bewusstsein. Das einzige, was unsere Traumwelt von der
Wachwelt unterscheidet, scheint das wiederholte (tägliche) Auftauchen
der Wachwelt zu sein. Aber ist das wirklich so? Oder trügen uns die
unzuverlässige Erinnerung und unsere wechselhaft Wahrnehmung
vielleicht? Wer hinterfragt seine Existenz mit der Begründung, dass
unsere Welt keine 24 Stunden konstant ist?
Wer
den Versuch startet, einfach länger wach zu bleiben, der bekommt
nach wenigen Tagen Probleme mit seiner Wahrnehmung, seinem
Erinnerungsvermögen und wird die normalerweise solide Umwelt als
verschwommen und brüchig wahrnehmen. Wir können diese Realität
nicht einmal für ein paar Tage festhalten, auch nicht mit den
größten Anstrengungen. Das gleiche gilt natürlich auch für den
Traum und den Tiefschlaf.
Jede
dieser drei Welten und Daseinsformen hat ihre Berechtigung und sorgt
für ein Gleichgewicht, dessen tieferer Sinn uns zunächst nicht
erschließen mag. Es ist aber ein Hinweis darin enthalten. Erkennen
wir das gemeinsame Element in allen drei Welten, dann erkennen wir
die Konstante, die wir im Kern sind.
Der
Zustand des Tiefschlafs ist dabei die natürlichste Form unseres
Seins. Sie scheint zeit- und raumlos, ohne Erinnerung und ohne
Wahrnehmung. Ohne die Elemente, die sich ansonsten immer wieder
verändern.
Wir
erkennen: das Leben ist Veränderung. Dem zugrunde liegt aber ein
gleichmäßiges tiefes Summen aus dem alles entsteht – Synonym
dafür ist der Zustand in dem sich unser Bewusstsein im Tiefschlaf
befindet. Das reine Bewusstsein kontrahiert sich im regelmäßigen
Rhythmus zu einem „Ich bin“ und analog dazu entstehen urplötzlich
die Welten. Welten ohne wahre Substanz, die nur bestehen, weil die
erste Form der Identität - das „Ich bin“ - existiert. Dem allen
liegt das zugrunde, was sich nicht beschreiben lässt. Es lässt sich
noch weniger beschreiben, als wir den Tiefschlaf begreifen und
erleben können. Und dennoch sind wir es die ganze Zeit, ohne
Unterbrechung, in allen drei Bewusstseinszuständen.
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