Mittwoch, 10. Februar 2021

Selige Vergänglichkeit

In glücklich zerbrochenen Erinnerungen

Erblüht die Freiheit aus vergessenen Memoiren

Und die Liebe aus Menschen ohne Geschichte

Ohne die Illusion von Tat oder Untat

Ohne geglaubten Frevel oder Heiligkeit

Ohne die Idee von Namen oder Rang

Spielt das Leben gelassener nur mit sich selbst

Aktion statt Planung, Stille statt Widerstand

Kongruent in unvermeidlicher Direktheit


Erhebende Stimmung befreit von Anlass, Sinn und Ursache

Trauer ohne Anker, in Wind und Strömung verloren


Die Bühne des Lebens auf unsichtbarem Grund

Der frei von Bedingungen und Vorstellungen

Alles aus sich nährt und alles in sich vergehen lässt

Es wird verbrennen ohne Asche

Zerstören ohne Schutt

Nichts, was bleibt

Alles, das Ist



 

Sonntag, 31. Januar 2021

Aufmerksames Spüren

Ich war öfters überrascht von einer inneren Einladung in Form eines aufkommenden Gefühls. Erst subtil, dann immer stärker werdend, von unbekannter Herkunft. Das Gefühl lädt zu Beginn ein, intensiv auf die Suche nach etwas zu gehen. Etwas Aufregendes, Unbekanntes, das sich nicht richtig (be-)greifen lässt.
Wir greifen mit diesem inneren Drängen zu Beginn nach mehr Erkenntnis, mehr Wissen, mehr Erfahrungen. Das Leben bereichern, das Leben verstehen, das Leben bändigen... Das scheinen anfangs die Motive zu sein, die jemanden antreiben, dem dieses merkwürdige Drängen überkommt. Die erste Reaktion auf dieses Drängen mündet für viele in esoterischen Welten, in psychologischen Ratgebern, in philosophischen Weltanschauungen, in magischen Methoden und allem, was das Leben (und natürlich uns selbst) irgendwie zu bändigen verspricht. Alles, was halbwegs verspricht den Schmerz und den Schrecken des Lebens zu nehmen und dabei den Erkenntnisraum zu erweitern.

Gesichter der Erlösung

Dieses beschriebene Phänomen eines starken inneren Drängens nach einer Art - nennen wir es Erlösung - ist ein Ausdruck dieser Reise, welche man eigentlich nicht näher benennen kann. „Erlösung“ ist aber ein durchaus zutreffender Begriff, da sich dieses innere Drängen als eine Suche nach selbiger interpretieren lässt.
Im Grunde mündet die Suche nach Erlösung aber in der Ergründung des Wesenskerns und der letztlichen Erkenntnis, dass es in dieser, von uns akzeptierten irdischen Realität, keine Erlösung von den Beschwerlichkeiten des Daseins und des unweigerlichen Todes gibt. Der Tod bleibt abwartend in bedrohlicher Nähe und lässt sich (glücklicherweise) nicht ausräumen. Wir mögen verblendet sein und ein Weilchen daran glauben, das Leben durch Erfolg und eine gesunde Lebensweise gezähmt zu haben – der Tod wird uns aber stetig seine Namen in den Nacken hauchen, bis auch der letzte seine eigene Endlichkeit begriffen hat.
Die Form der Erlösung, welche aber weder Tod noch Leben niederringen möchte, hat nicht dieses Damoklesschwert über dem empfindlichen Haupt schweben. Sie ist frei von den Bedingungen der irdischen Existenz. Sie beginnt vor den Begrifflichkeiten von Leben und Tod und hat ihren Ursprung jenseits aller Bedingungen und Beschreibungen, jenseits der Wirkungswelt des Geistes.

Dankbare Entscheidungslosigkeit

Entsprechend ist es dem Menschen in seiner Identifikation als Person - und damit innerhalb der Fesseln von Existieren und Sterben - eigentlich nicht möglich, diese Reise selbst anzutreten. Wir gehen diesen bestimmten Lebensweg oder nicht, da gibt es keine wirkliche Entscheidung einer Person. Es ist doch nachvollziehbar, dass Menschen, welche diesen inneren Ruf nie vernahmen, eher mit Unverständnis auf diese esoterischen Spinner und Heilssucher blicken bzw. auf Leute die ihr Leben der Meditation und ähnlichen lebensfernen Praktiken widmen.

Dabei ist es eine kompromisslose aber dankbare Einladung, ein unerschütterliches Drängen, das recht wenige Menschen überkommt. Begleitet von einem Hochgefühl, welches uns auffordert, uns ganz auf diese inneren Welten einzulassen. Die Stille, welche sich im Bewusstsein offenbart, die bedingungslose Liebe, so losgelöst von alten Begrenzungen, ist die beständige Richtschnur. Loslassen können, was Sicherheit und Anerkennung verspricht und verloren gehen in lichter Leichtigkeit.

Eine spezifische Qualität der Aufmerksamkeit

An verschiedenen Stellen in diesem Blog wurde die Ergründung des Selbst mithilfe spezifischer Techniken besprochen. Durch gezieltes Fragen und Innehalten hebelt sich der aktive, identifizierte Geist selbst aus. Gleich einem Dorn, mit welchem wir einen Dorn entfernen, wird ein Gedanke ins Bewusstsein entlassen, welcher das Gedankenleben ausbremst. Das Innehalten in dem, was sich dabei offenbart geht mit aufmerksamem Spüren einher.
Spüren ohne Gedanken ist ein sinnliches Empfinden, von allem, was sich offenbart. Das Gefühl der Ausdehnung, welche das Erkennen des Selbst oft begleitet, aber auch die Emotionen und Körperempfindungen, die dabei Erlösung finden. Alles zu erfühlen und „inne zu halten“ im besten Sinne des Wortes, womit gemeint ist, dass wir diese Empfindungen aufmerksam im Bewusstsein halten.
Die dafür benötigte Achtsamkeit bedarf einer Loslösung vom Alltagsbewusstsein, die in erster Linie durch beständiges Üben erreicht wird. Das dadurch gewonnene Vermögen, urteilsfrei spüren zu können, ist unfassbar erlösend. Man kann diese Fähigkeit nur zu schätzen wissen, wenn man sie selbst erlebt hat, da der gesellschaftlich erlernte Impuls, über das Erfühlte nachzudenken, diese freie Bewegung im Bewusstsein normalerweise kaum erlaubt.
Freies Erspüren sowohl innerer als auch äußerer Welten führt immer zu dem einen Ziel: der Ergründung des Selbst, dem Erforschen des eigenen Wesens. Jede Erscheinung, jedes noch so traurige Gefühl, zeigt im erlösten Erspüren seinen wahren Kern und Ursprung und wandelt sich scheinbar in Empfindungen von Liebe und Weite.

Daher wird das Loslassen immer wieder derart betont. Es ist eine Mischung aus diesem befreiten Erleben bzw. aufmerksamen Spüren sämtlicher Erscheinungen und der Fähigkeit, den Geist dabei nicht zu bedienen und die Gedanken nicht zu verfolgen. Das klingt vielleicht zunächst recht technisch, ist aber ein natürliches und freies Erleben, welches zu reiner Gewahrsamkeit führt.



 

Freitag, 15. Januar 2021

Mürbe Macht

Das anhaltende Einsperren und Aussperren, die fantasievollen Verbote und Einschränkungen, treffen mittlerweile viele Menschen auf unterschiedlichen Ebenen empfindlich in ihrer Lebensführung. Manche kämpfen profan um die finanzielle Existenz, andere innerlich gegen die Einsamkeit, wieder anderen wächst der Stress zwischen Kinderbetreuung und Homeoffice über das geplagte Haupt.

Konstruierte Spaltung

Von allen Seiten ist zu spüren, wie Leute aller Couleur mürbe werden. Mürbe sind die Gemüter, zermürbend die lenkende Macht, welche das Leben in unerfreuliche Fahrwasser steuert. Zu genau möchten viele nicht hinsehen, wollen nicht hören, dass dieser Lockdown eine höchst politische und zugleich unwissenschaftliche Lösung für ein medial zur Unkenntlichkeit aufgeblähtes Problem ist.
Für viele geächtete Widerständler steckt die einst bewegte Zeit des Aufklärens und der Rebellion im Trübsal der sumpfigen Aussichtslosigkeit fest. Die Weichen sind alle gestellt, der Schicksalszug hat längst seine Höchstgeschwindigkeit erreicht.
Erstaunlich ist der Opfermut der Gegenseite unserer künstlich gespaltenen Gesellschaft. Sie steht noch immer begeistert an den Gleisen und winkt eifrig ihrem alten Leben nach, fest daran glaubend, dass Regierungen dazu da sind, sich ganz doll um uns zu sorgen. Die Lektionen der Geschichte perlen an ihnen ab – ein faszinierender Lotus-Effekt, dessen Ingredienzien (bestehend aus kollektiver Gutgläubigkeit und Bequemlichkeit) jeden kritischen Gedanken abgleiten lassen.
Schaltet man den Fernseher ein oder schlägt die Zeitung auf, vernimmt man ebenfalls wenig Kritisches. Kaum jemand berichtet über Gescheiterte, Depressive, über Suizide und Gefährdete. Dabei knirscht es, wo man hinschaut, im existenziellen Gebälk.

Neue Normalität = Zeit des inneren Prüfens

„The new normal“ wurde bereits, das hat man schon fast verdrängt, vor bald einem Jahr medial prophezeit - teils hübsch illustriert aber dennoch haarsträubend böse wirkend. Man hat den Verdacht, dass die Umsetzung der neuen Normalität noch gar nicht zur vollen Blüte gereift ist.

Ich bin selbst ein auf mehreren beschriebenen Ebenen Betroffener. Das Leben kann aber noch deutlich kreativer zuschlagen – mit mehr Wucht und Fantasie, als es die Drahtzieher der Krise jemals mit ihren einfachen Gemütern erdenken könnten. Dennoch will ich nicht leugnen, dass die momentane Lage teils herausfordernd und anstrengend ist und dass das Leben diese konstruierte Krise gerne mit weiteren Schrecken garniert.
Irgendwie, man verzeihe mir das Wortspiel, bin ich ein verfehlter Betroffener im Sinne von getroffen sein; heißt: mir geht es unverzeihlich gut. Einfach, weil ich empfinde, dass dies unser Geburtsrecht ist, weil es unserem Wesenskern entspricht. Weil ich jeden Tag auf das blicke, was von diesem ganzen Theater völlig unbeeindruckt ist. Und das bin ich selbst und jeder andere ebenso. Ich hoffe, dass dies viele Menschen realisieren dürfen, denn jene Perspektive erlaubt uns, auch in schwierigeren Zeiten einfach mal zufrieden und gut drauf zu sein. „Gut drauf“ ist jetzt nicht unbedingt die in dem Kontext passendste Ausdrucksweise, klingt aber griffig.
Jeder Ausdruck von Freude oder Glück ist natürlich etwas, das immer irgendwie kommen und gehen muss. Es kommt jedoch öfter in der Folge eines unabsichtlich konsequent gegen den Strom schwimmenden Lebensstils, der keine Rücksicht auf Normen und eine gelungene gesellschaftliche Positionierung der eigenen Person nimmt. Aber wen jucken Konventionen, gerade jetzt, wo ohnehin alles auf Talfahrt ist?
Talfahrt oder goldene Zeiten, darum geht es natürlich nicht. Im Grunde muss die Lebensführung in jeder Lage für eine glücklichere Ausrichtung mehr gefühlt als gedacht sein, mehr gesessen als gerannt, mehr im Innern als im Außen. Alle Tugenden der Rationalität, der Strebsamkeit, des Eifers, der Zielstrebigkeit sind totaler Mist, wenn man wirklich erfüllt sein möchte. Gesellschaftliche Normen und Tugenden dienen meist der Kontrolle und der Ordnung; sie bringen aber niemanden ans Ziel, da sie ein falsches Ego, ein Trugbild stärken. Und wir streben doch immer, ob in wirren oder ruhigen Zeiten, ob wir arm oder reich sind, gefühlt oben oder unten, mehr dem Glück entgegen.

Lass das Glück los

Kommt dieses Glück öfter, ist die Gelegenheit da, auch dieses zu prüfen und nicht daran zu klammern. Es kommt und geht beschwingter in einem Raum erweiterter Gewahrsamkeit und mit gesteigerter Fähigkeit, einfach alles loslassen zu können. In einem engen Mental-Kerker fühlt sich das Glück hingegen nicht zu Hause. Es wird abgestoßen durch Planung, durch Gier, durch jeden Versuch, seiner Habhaft zu werden. Glück, genau wie bedingungslose Liebe, müssen frei fließen können.

Dieser Raum, in welchem Glück stattfinden kann, diese Empfindung von Ausdehnung über die Sinnlichkeit hinaus, ist tiefer als das Glück selbst. Glück ist ein Ausdruck oder eine Qualität unserer Seele, aber selbst tiefes Glück berührt noch lange nicht die Quelle unseres Seins. Es ist dennoch ein guter Wegweiser.
Letztendlich spielt in dem Erleben unserer Seele, unseres Selbst, am Ende auch das Glück keine entscheidende Rolle mehr. Das Glück mag zwar ein willkommener Besucher sein, aber es ist nicht das Ziel der Suche. Somit ist auch jede andere Erscheinung im Leben mehr oder weniger willkommen, aber niemals etwas, das dem innersten Frieden gleichkommt.
Jede dieser empfundenen Bewegungen, so nett oder so krampfig sie auch sein mögen, sind, und da wiederhole ich mich wiederholt, Gelegenheiten, die Aufmerksamkeit zu schulen, und den inneren Raum zu erkennen, in welchem alles stattfindet.

Aufmerksamkeits-Aikido

Im Erleben dieses inneren Raumes wandelt sich das ernste Drama des Lebens zu einem Theaterstück in unserem Selbst. Ein Schauspiel des Lebens, das nur in uns stattfindet und dadurch seinen Schrecken verliert.
Das Drama wird als Folge des Perspektivwechsels entmachtet, aber es wird immer nach dem Greifen, was uns wieder in seinen Bann ziehen kann. Es wird alles tun, um unsere Aufmerksamkeit auf die Gedanken zu richten, damit der Mindfuck uns wieder in den Kerker des selbstkreierten Schreckens sperren kann.
Wie in einem inneren Aikido ist es aber mit Übung möglich, die Gedanken frei vorbeigleiten zu lassen, ohne Energie darauf zu verschwenden und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf das Fühlen der inneren Welten zu legen. Der durch die Gedanken aufgebaute innere Druck in Form von Ängsten oder Sorgen ist dabei ein willkommenes Mittel der Wahl - eine Kraft die durch bloße Aufmerksamkeit umgewandelt wird.
Im Fühlen und Verorten dieser Empfindungen im Körper, wird sowohl die Natur des Gefühls gewahr als auch Natur des Beobachters, welcher dieses Gefühl erkennt – hilfreich kann diese Meditation sein. In dem Moment wird das negative Gefühl zu einer Möglichkeit, tiefer in die Natur des Selbst einzutauchen. 

Auf diese Weise kann die Krise zum Hilfsmittel werden – nicht im Sinne des Erfinders, aber gerade deshalb umso besser.

 

Montag, 28. Dezember 2020

Leere – Abgrund oder Tor?

In bestimmten Momenten erleben wir eine Leere in uns. Ein tiefes Gefühl, dass nichts diese Leere wirklich füllen mag. Aus Gewohnheit oder weil wir es nicht besser wissen, stopfen wir das empfundene Loch in uns mit Aktivität, mit Dingen, mit Menschen oder schlimmstenfalls mit schlechtem Fernsehen. Das Gefühl von tiefgreifender Leere kann uns Trauer empfinden lassen und in eine Depression führen. Sie wird als etwas betrachtet, dass wir besser schnell wieder los werden. Wir denken, sie ist ein gefährlicher Makel, dem ein weltlicher Mangel zugrunde liegt. Menschen, welche die Leere öfters empfinden, machen jedoch die Erfahrung, dass sie nicht mit Objekten zu füllen und nicht wirklich zu beseitigen ist.

Diese Leere ist noch tiefgreifender als das Gefühl der Langeweile, welche ein Aufhänger für den letzten Text war. Die Langeweile kann noch bedient werden, sie kann durch Aktivität beseitigt werden oder wir vermögen ihre Natur rasch durch eine Frage zu entlarven. Die Leere ist in ihrem Wesen substantieller.

Es ist, als könne uns das Leben nichts wirklich Erfüllendes mehr bieten – nichts, was irgendwie von Bestand ist und nicht den fahlen Beigeschmack der Vergänglichkeit in sich trägt. Eine Weile können wir die Leere vielleicht überspielen und uns selbst Zufriedenheit vorgaukeln. Vielleicht wandern wir von Job zu Job, von Partner zu Partner, von Ort zu Ort, bloß um nach einiger Zeit wieder die Leere in uns zu spüren. Ein starker Geist, eine zielstrebige Natur kann uns dabei leicht zum Verhängnis werden, akzeptieren diese Eigenschaften doch keine Schwäche. Aber diese Leere ist keine Trägheit, keine Depression und keine Lustlosigkeit – die Unkenntnis um den rechten Umgang mit ihr, lässt sie lediglich diese Charakterzüge hervorbringen.

Wenn wir schlafen und träumen aber unser physischer Körper hungrig ist, dann kann keine erträumte Speise uns jemals sättigen. Rastlos irren wir im Traum umher und versuchen vergeblich den Hunger zu stillen. Aber es hilft nichts, wir müssen aufwachen und das Bedürfnis unseres Körpers nach Nahrung stillen.

Die Leere spiegelt ein tieferes Bedürfnis und nichts, was diese Welt zu bieten hat, kann sie füllen. Sie ist ein Ausdruck des Hungers unserer Seele, die nun diesen Traum, den wir Leben nennen, zu Ende träumen möchte und den Blick wieder auf ihre wahre Heimat richtet. Viele haben diese Transformation durchlebt und sind zunächst in einer Art Depression gelandet. Ich erinnere mich unter anderem an Bücher von Eckhart Tolle oder Jeff Foster. Das sind gute Beispiele, da beide in unserer westlichen Zivilisation an ihre Grenzen stießen, keine Erfüllung fanden und sehr eindrücklich die Phase der Depression und die empfundene Sinnlosigkeit ihres Lebens beschrieben haben. Sie wurden durch ein inneres Erwachen „gerettet“ - sie erkannten, dass sie bereits vollkommen sind und einer Illusion nachhingen, die sie fälschlicherweise Leben nannten.

Natürlich überkommt nicht jeden diese tiefe Verzweiflung und nicht jeder erlebt die Unfähigkeit, überhaupt noch am Leben teilnehmen zu können. Es ist eine Gnade, diesem inneren Ruf irgendwie entsprechen zu können. Ihn zu bedienen mit Phasen der Innenschau, mit stillem Sitzen, mit Meditation oder mit einem Lehrer, der diesen Weg bereits beschritten hat. Es bedarf für manche des Erkennens, des Differenzierens und der Stille. Für andere der Hingabe, des Dienens und der Liebe.

Gute Wege enden in der Selbstvergessenheit, in welcher das göttliche Erleben zum Zentrum des Seins wird. Die Vorstellung von einer Person geht auf diesen Wegen verloren. Verloren im Sinne von nicht existent, von nicht wichtig, da „wir als Person in einer Welt“ nur eine Idee sind, die zu lange bedient wurde. Dann kann sich die Leere in Erfüllung wandeln. Meist sogar langsam und beständig - selten sind wohl eher die überwältigenden, plötzlich explosiven Transformationen im Bewusstsein, wie von obigen Beispielen beschrieben. Es braucht auch keine mystische Erleuchtung, um die Schönheit in allem zu erkennen. Der Weg an sich ist dann Erfüllung genug.

Samstag, 12. Dezember 2020

Oh Langeweile, getreuer Fingerzeig!

Einem eifrigen Praktizierenden des Atma Vichara - der Suche nach dem Ich – ist alles was in und um uns geschieht eine willkommene Gelegenheit. Eine Gelegenheit zur Innenschau, zur Überprüfung, wem das jetzt eigentlich widerfährt, was auch immer im Moment geschieht.

Alles, was wir an Eindrücken aufnehmen und von dem wir glauben, dass wir es wahrnehmen, dass es uns betrifft und beeinflusst; dass es der Person, die wir sind, geschieht - dies alles dient der Überprüfung der von uns geglaubten Wahrheit, dass wir eine Person in einer Welt sind. Die Wahrheit, dass es uns und das andere gibt – mich und die Welt, mich und die anderen Leute...

Wir verstehen überhaupt nicht, bevor wir uns dieser Suche nach einer tieferen Wahrheit widmen, wie verletzlich und traurig uns dieser Glaube machen kann. Die Person ist durch den Geist bestimmt, durch den Glauben, die Weltsicht, die Prägung und allen Gedanken und Emotionen, die aus der persönlichen Anpassung des Geistes an diese Welt resultieren.

Der Körper ist dabei das Bindeglied, als Produkt dieser Welt, die ihn formte und den Geist, der an den Körper gebunden ist.

Atma Vichara löst diese Vorstellungen auf. Wir überprüfen dabei direkt am Ursprung aller weiteren Vorstellungen, ob diese wahr sein können, einfach nur, indem wir unser Ich in den Fokus rücken.

Aktivität contra Nichtstun

Um überhaupt offen für diese Suche oder diesen verschärften Blick zu sein, ist das Verweilen eine Voraussetzung – so wie ein Fechter, ein Bogenschütze oder ein Kampfkünstler auf einen stabilen Stand angewiesen ist, so erfordert Atma Vichara eine innere Haltung der Stille, des aufmerksamen Blicks.

Das genaue Gegenteil dieser für die Innenschau erforderlichen Haltung ist die Zerstreuung. Welche Ironie, in einer Gesellschaft zu leben, die sich in einem ständigen Kampf gegen das Nichtstun und die gefürchtete Langeweile befindet. Neben der Arbeit wird noch vielfältigen Aktivitäten nachgegangen, nebenbei wird das Smartphone gecheckt und die freie Zeit ist auf Wochen hinaus verplant. Verpönt ist, einfach nur dazusitzen und vor sich hinzustarren – das Nichtstun dem emsigen Treiben vorzuziehen. Ein trügerisches Vorurteil, dass leicht zu entkräften ist, wenn man weiß, wie Nichtstun wirklich geht und wie viel Glück es erfahrbar macht...

Ich bin´s doch

Wer ahnt schon, dass die verhasste Langeweile ein Fingerzeig, ein Rettungsring ist, den wir ergreifen können? Sie macht die Aktivität des Geistes spürbar in einem Moment, der uns die Gelegenheit gibt, einfach zu hinterfragen, zu wem diese Langeweile, dieses Gefühl eigentlich kommt. Denn wie jeder Gedanke, jede Körperempfindung und jede andere Emotion lässt sich natürlich auch ein Gefühl der Langeweile im Hinblick auf den Adressaten hinterfragen.

Die Antwort auf die Frage: „Zu wem kommt dieses Gefühl?“, ist zunächst immer: ich empfinde die Langeweile. Sie kommt zu mir, ich nehme sie wahr, in meinem Geist und meinen Empfindungen. Es entsteht dabei eine Empfindung für dieses Ich, eine persönliche Geschichte, die sich in Bildern aufdrängen will. Ich bleibe in diesem Moment bei der Empfindung von Ich, bei dem was schaut und was in diesem Beispiel die Langeweile erkennt. Das ist eine klare bekannte Empfindung von Ich, dem Zentrum, um welches die Person konstruiert ist – dieses Ich ist das Selbstverständnis, das wir haben.

Dieses Selbstverständnis, dieses Ich wird in dem Moment gesehen und erkannt. Es wird erkannt von etwas, dass für den Geist nicht greifbar ist, weil es den Geist beobachtet und nicht der Geist ist.

Wollen wir diesen Beobachter erkennen, dann erfordert dies eine weitere Frage. Die Frage lautet „Wer bin ich?“ oder (nach Belieben): „Was bin ich?“ oder „Was ist das?“. Diese Frage wird ohne Absicht gestellt, eine Antwort zu erhalten. Wer eine Antwort denkt, hat diesen Schritt verbockt. Nicht schlimm, Atma Vichara ist wie ein Spiel, das man den ganzen Tag spielen kann.

Ich bin

Die eigentliche Antwort oder besser gesagt: das eigentliche Erleben, das aus dieser Frage resultiert ist eine Bewegung des Bewusstseins. Unser Ich-Empfinden wandert vom Kopf ins Herz. Dabei entsteht das Gefühl von Raum, von aufgelöst-sein, von Freiheit und Liebe. Wenn wir darin verweilen, sind wir unserem eigentlichen Ich ein ganzes Stück näher. Wie wir diese tiefere Wahrheit nennen, spielt dabei keine Rolle. Man kann es „Ich bin“ nennen, als Hinweis, dass es eine freie Individualität ist, die wir sind, ungetrübt von persönlichen Dingen, einfach frei und seiner Göttlichkeit bewusst.

Fantastisch, dass dies durch eine einfache aufmerksame Frage erfahrbar ist.

Schrumpfkopf

Es ist aber genauso fantastisch zu sehen, wie schnell wir aus diesem natürlichen Sein wieder in den Kopf wandern und zu einem problembeladenen Wesen schrumpfen. Der Kopf bzw. die Gedanken treiben das freie Sein wieder in die Person. Ohne Gedanken sind wir ein glücklicher Niemand, mit Gedanken ein schrumpfkopfiger Jemand.

Gute Schwestern

Atma Vichara, das muss ich hier ein letztes Mal betonen, ist ein wunderbar leichter Weg, unser wahres Selbst zu erfahren. Wir können dabei mit allem Arbeiten, was der Moment so bietet. Jeder erdenkliche Mist führt mit der rechten Frage in ein freies, glückliches Sein.

Atma Vichara ist damit die geschickte Schwester der Meditation, die den Weg in einen meditativen Zustand weisen kann. Sie bereitet vor und ist der Fingerzeig, dem wir folgen. Die eigentliche Meditation ist das entspannte, gelöste Verweilen in diesem Zustand.

 

Sonntag, 22. November 2020

Shine on!

Novembersonne – draußen ist es kühl und dennoch wärmt sie noch angenehm. Unzweifelhaft lebt es sich mit Sonnenlicht ein bisschen leichter - die Welt wirkt einladend und freundlich. 

Unter freiem Himmel stehen und mit zusammengekniffenen Augen die warmen Strahlen genießen. Und wenn es nur ein paar Minuten sind. Welch´ schöne Abwechslung zu den regnerischen Tagen.

Die Sonne scheint durch die kahlen Baumkronen. Sie ist wie ein Gleichnis für etwas, das ich kaum beschreiben kann, ohne kitschig zu klingen. Sie erinnert an das Licht, welches mich jede Nacht umhüllt, wenn ich mit geschlossenen Augen im Bett liege. Wenn plötzlich alles hell und warm wird und das Leben nicht leichter sein kann.

Da sind diese Assoziationen, wie liebevoll und schützend. Das Licht wirkt wohlig - es spendet Leben und hält uns warm. Und es erinnert an das, was viele erleben, die sich in die Stille fallen lassen. „Das Licht des Herzens“, muss ich denken – die abgegriffene Umschreibung, die ich vermeiden wollte; die Umschreibung, die den Nagel aber auf den Kopf trifft. Es ist unser Zuhause, unsere innere Heimat, welche doch immer hier ist. 

Bedingungslose Liebe ist ein Tor in die Stille, unser eigentliches Wesen. Hier, wo es kein Zweites mehr gibt, wortlos, unbeschreiblich.

Aber bereits im Licht versiegen die Gedanken und vermögen das Gemüt nicht zu beschweren. So sind es doch meist bloß die Gedanken an gestern oder morgen, welche jeden Moment ruinieren können und daran hindern, uns mit den Wundern des Lebens treiben zu lassen. Bleischwer lassen sie uns im Fluss des Lebens untergehen, bis wir im trüben Schlamm kleben und uns die Dunkelheit umhüllt. 

Manchmal helfen ein paar Sonnenstrahlen, um uns an die Leichtigkeit im Leben zu erinnern, 

Sonnenlicht ist in dieser Zeit ein schönes Geschenk.“, kommt mir abends in den Sinn, während ich für den Tag danke. Die schönen Dinge sind oft so einfach und doch so wundersam.


 

Sonntag, 8. November 2020

König des Herzens

Gehört dein nächster Gedanke jemandem? Frage dich, wer dieser Jemand sein sollte - suche nach ihm. Was findest du? Erinnerungen? Vorstellungen? Eine Geschichte? Ein Gefühl oder eine Empfindung? Könntest du das sein? Vergänglich, kurz aufflackernd? Suche weiter, wenn es dir möglich ist. Es ist eine Gnade, genau hinschauen zu wollen – das Verlangen zu haben, sich selbst zu erkennen.

Die Suche endet im Nichts. Zwischen den Gedanken und Gefühlen ist immer Leere. Und das, was sowohl die Bewegungen im Geiste als auch die Leere bemerkt, ist zwar immer da aber nicht zu fassen, nicht zu begreifen.

Dieser Jemand steht im leeren Raum und ist nicht existent, wenn wir ihn suchen. Nichts als Schall und Rauch, Worte und Trugbilder.

Du findest nur das Erkennen an sich. Das Erkannte, der Erkennende und das Erkennen verschmelzen, sind eins. Nur der Geist trennt, der Verstand seziert in Millionen Teile. Lass dich von der Illusion der Vielfalt nicht ablenken.

Der Blick darf im Herzen ruhen, still und klar, mitten im Licht, das du dort erkennen kannst. Bleib mit der ganzen Aufmerksamkeit hier und lass alles andere geschehen.

Keine Gedanken, kein Wunsch, ein Jemand zu sein. Wir alle sind der gleiche Niemand, ein glückliches, paradoxes, extrem reiches Nichts. Ein Nichts, das wir niemals verstehen und an das der Verstand nicht reicht. Hier darf alles fallen, was einem Jemand scheinbar gehört.

Ja, es bleibt immer die Versuchung, ein Jemand zu sein. Ein Jemand mit Grenzen, jemand, der alleine ist oder aber in schlechter Gesellschaft. Jemand braucht immer jemand, irgendwas und das nächste. Und ein Jemand weiß, dass auf Sonnenschein der Regen folgt und umgekehrt. 

Jemand ist niemals frei aber muss immer wichtig sein.

Dualität oder Freiheit, Bedürfnis oder Liebe, Saturn oder Sonne... ersteres braucht immer einen trügerischen Jemand, um überhaupt relevant zu sein; letzteres ist einfach, was wir alle sind.

Im Herzen kann ein Jemand nicht existieren. Ohne Gedanken stirbt er einfach und niemand wird ihn vermissen. Die Qualität des Herzens ist nicht fassbar und bedingungslos. Da ist niemand ein König, sondern ein Königreich ohne Grenzen, ohne Anfang und Ende.

Der König des Herzens ist allumfassend, unpersönlich und grenzenlos. Er verschwindet in der Liebe zum Sein und zeigt seine Qualitäten in einem Jemand, der erkannt hat, dass er immer ein Niemand war.