Montag, 28. Dezember 2020

Leere – Abgrund oder Tor?

In bestimmten Momenten erleben wir eine Leere in uns. Ein tiefes Gefühl, dass nichts diese Leere wirklich füllen mag. Aus Gewohnheit oder weil wir es nicht besser wissen, stopfen wir das empfundene Loch in uns mit Aktivität, mit Dingen, mit Menschen oder schlimmstenfalls mit schlechtem Fernsehen. Das Gefühl von tiefgreifender Leere kann uns Trauer empfinden lassen und in eine Depression führen. Sie wird als etwas betrachtet, dass wir besser schnell wieder los werden. Wir denken, sie ist ein gefährlicher Makel, dem ein weltlicher Mangel zugrunde liegt. Menschen, welche die Leere öfters empfinden, machen jedoch die Erfahrung, dass sie nicht mit Objekten zu füllen und nicht wirklich zu beseitigen ist.

Diese Leere ist noch tiefgreifender als das Gefühl der Langeweile, welche ein Aufhänger für den letzten Text war. Die Langeweile kann noch bedient werden, sie kann durch Aktivität beseitigt werden oder wir vermögen ihre Natur rasch durch eine Frage zu entlarven. Die Leere ist in ihrem Wesen substantieller.

Es ist, als könne uns das Leben nichts wirklich Erfüllendes mehr bieten – nichts, was irgendwie von Bestand ist und nicht den fahlen Beigeschmack der Vergänglichkeit in sich trägt. Eine Weile können wir die Leere vielleicht überspielen und uns selbst Zufriedenheit vorgaukeln. Vielleicht wandern wir von Job zu Job, von Partner zu Partner, von Ort zu Ort, bloß um nach einiger Zeit wieder die Leere in uns zu spüren. Ein starker Geist, eine zielstrebige Natur kann uns dabei leicht zum Verhängnis werden, akzeptieren diese Eigenschaften doch keine Schwäche. Aber diese Leere ist keine Trägheit, keine Depression und keine Lustlosigkeit – die Unkenntnis um den rechten Umgang mit ihr, lässt sie lediglich diese Charakterzüge hervorbringen.

Wenn wir schlafen und träumen aber unser physischer Körper hungrig ist, dann kann keine erträumte Speise uns jemals sättigen. Rastlos irren wir im Traum umher und versuchen vergeblich den Hunger zu stillen. Aber es hilft nichts, wir müssen aufwachen und das Bedürfnis unseres Körpers nach Nahrung stillen.

Die Leere spiegelt ein tieferes Bedürfnis und nichts, was diese Welt zu bieten hat, kann sie füllen. Sie ist ein Ausdruck des Hungers unserer Seele, die nun diesen Traum, den wir Leben nennen, zu Ende träumen möchte und den Blick wieder auf ihre wahre Heimat richtet. Viele haben diese Transformation durchlebt und sind zunächst in einer Art Depression gelandet. Ich erinnere mich unter anderem an Bücher von Eckhart Tolle oder Jeff Foster. Das sind gute Beispiele, da beide in unserer westlichen Zivilisation an ihre Grenzen stießen, keine Erfüllung fanden und sehr eindrücklich die Phase der Depression und die empfundene Sinnlosigkeit ihres Lebens beschrieben haben. Sie wurden durch ein inneres Erwachen „gerettet“ - sie erkannten, dass sie bereits vollkommen sind und einer Illusion nachhingen, die sie fälschlicherweise Leben nannten.

Natürlich überkommt nicht jeden diese tiefe Verzweiflung und nicht jeder erlebt die Unfähigkeit, überhaupt noch am Leben teilnehmen zu können. Es ist eine Gnade, diesem inneren Ruf irgendwie entsprechen zu können. Ihn zu bedienen mit Phasen der Innenschau, mit stillem Sitzen, mit Meditation oder mit einem Lehrer, der diesen Weg bereits beschritten hat. Es bedarf für manche des Erkennens, des Differenzierens und der Stille. Für andere der Hingabe, des Dienens und der Liebe.

Gute Wege enden in der Selbstvergessenheit, in welcher das göttliche Erleben zum Zentrum des Seins wird. Die Vorstellung von einer Person geht auf diesen Wegen verloren. Verloren im Sinne von nicht existent, von nicht wichtig, da „wir als Person in einer Welt“ nur eine Idee sind, die zu lange bedient wurde. Dann kann sich die Leere in Erfüllung wandeln. Meist sogar langsam und beständig - selten sind wohl eher die überwältigenden, plötzlich explosiven Transformationen im Bewusstsein, wie von obigen Beispielen beschrieben. Es braucht auch keine mystische Erleuchtung, um die Schönheit in allem zu erkennen. Der Weg an sich ist dann Erfüllung genug.

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