Einem eifrigen Praktizierenden des Atma Vichara - der Suche nach
dem Ich – ist alles was in und um uns geschieht eine willkommene
Gelegenheit. Eine Gelegenheit zur Innenschau, zur Überprüfung, wem
das jetzt eigentlich widerfährt, was auch immer im Moment geschieht.
Alles, was wir an Eindrücken aufnehmen und von dem wir glauben,
dass wir es wahrnehmen, dass es uns betrifft und beeinflusst; dass es
der Person, die wir sind, geschieht - dies alles dient der
Überprüfung der von uns geglaubten Wahrheit, dass wir eine Person
in einer Welt sind. Die Wahrheit, dass es uns und das andere gibt –
mich und die Welt, mich und die anderen Leute...
Wir verstehen überhaupt nicht, bevor wir uns dieser Suche nach
einer tieferen Wahrheit widmen, wie verletzlich und traurig uns
dieser Glaube machen kann. Die Person ist durch den Geist bestimmt,
durch den Glauben, die Weltsicht, die Prägung und allen Gedanken und
Emotionen, die aus der persönlichen Anpassung des Geistes an diese
Welt resultieren.
Der Körper ist dabei das Bindeglied, als Produkt dieser Welt, die
ihn formte und den Geist, der an den Körper gebunden ist.
Atma Vichara löst diese Vorstellungen auf. Wir überprüfen dabei
direkt am Ursprung aller weiteren Vorstellungen, ob diese wahr sein
können, einfach nur, indem wir unser Ich in den Fokus rücken.
Aktivität contra Nichtstun
Um überhaupt offen für diese Suche oder diesen verschärften
Blick zu sein, ist das Verweilen eine Voraussetzung – so wie ein
Fechter, ein Bogenschütze oder ein Kampfkünstler auf einen stabilen
Stand angewiesen ist, so erfordert Atma Vichara eine innere Haltung
der Stille, des aufmerksamen Blicks.
Das genaue Gegenteil dieser für die Innenschau erforderlichen
Haltung ist die Zerstreuung. Welche Ironie, in einer Gesellschaft zu
leben, die sich in einem ständigen Kampf gegen das Nichtstun und die
gefürchtete Langeweile befindet. Neben der Arbeit wird noch
vielfältigen Aktivitäten nachgegangen, nebenbei wird das Smartphone
gecheckt und die freie Zeit ist auf Wochen hinaus verplant. Verpönt
ist, einfach nur dazusitzen und vor sich hinzustarren – das
Nichtstun dem emsigen Treiben vorzuziehen. Ein trügerisches
Vorurteil, dass leicht zu entkräften ist, wenn man weiß, wie
Nichtstun wirklich geht und wie viel Glück es erfahrbar macht...
Ich bin´s doch
Wer ahnt schon, dass die verhasste Langeweile ein Fingerzeig, ein
Rettungsring ist, den wir ergreifen können? Sie macht die Aktivität
des Geistes spürbar in einem Moment, der uns die Gelegenheit gibt,
einfach zu hinterfragen, zu wem diese Langeweile, dieses Gefühl
eigentlich kommt. Denn wie jeder Gedanke, jede Körperempfindung und
jede andere Emotion lässt sich natürlich auch ein Gefühl der
Langeweile im Hinblick auf den Adressaten hinterfragen.
Die Antwort auf die Frage: „Zu wem kommt dieses Gefühl?“, ist
zunächst immer: ich empfinde die Langeweile. Sie kommt zu mir, ich
nehme sie wahr, in meinem Geist und meinen Empfindungen. Es entsteht
dabei eine Empfindung für dieses Ich, eine persönliche Geschichte,
die sich in Bildern aufdrängen will. Ich bleibe in diesem Moment bei
der Empfindung von Ich, bei dem was schaut und was in diesem Beispiel
die Langeweile erkennt. Das ist eine klare bekannte Empfindung von
Ich, dem Zentrum, um welches die Person konstruiert ist – dieses
Ich ist das Selbstverständnis, das wir haben.
Dieses Selbstverständnis, dieses Ich wird in dem Moment gesehen
und erkannt. Es wird erkannt von etwas, dass für den Geist nicht
greifbar ist, weil es den Geist beobachtet und nicht der Geist ist.
Wollen wir diesen Beobachter erkennen, dann erfordert dies eine
weitere Frage. Die Frage lautet „Wer bin ich?“ oder (nach
Belieben): „Was bin ich?“ oder „Was ist das?“. Diese Frage
wird ohne Absicht gestellt, eine Antwort zu erhalten. Wer eine
Antwort denkt, hat diesen Schritt verbockt. Nicht schlimm, Atma
Vichara ist wie ein Spiel, das man den ganzen Tag spielen kann.
Ich bin
Die eigentliche Antwort oder besser gesagt: das eigentliche
Erleben, das aus dieser Frage resultiert ist eine Bewegung des
Bewusstseins. Unser Ich-Empfinden wandert vom Kopf ins Herz. Dabei
entsteht das Gefühl von Raum, von aufgelöst-sein, von Freiheit und
Liebe. Wenn wir darin verweilen, sind wir unserem eigentlichen Ich
ein ganzes Stück näher. Wie wir diese tiefere Wahrheit nennen,
spielt dabei keine Rolle. Man kann es „Ich bin“ nennen, als
Hinweis, dass es eine freie Individualität ist, die wir sind,
ungetrübt von persönlichen Dingen, einfach frei und seiner
Göttlichkeit bewusst.
Fantastisch, dass dies durch eine einfache aufmerksame Frage
erfahrbar ist.
Schrumpfkopf
Es
ist aber genauso fantastisch zu sehen, wie schnell wir aus diesem
natürlichen Sein wieder in den Kopf wandern und zu einem
problembeladenen Wesen schrumpfen. Der Kopf bzw. die Gedanken treiben
das freie Sein wieder in die Person. Ohne Gedanken sind wir ein
glücklicher Niemand, mit Gedanken ein schrumpfkopfiger Jemand.
Gute Schwestern
Atma
Vichara, das muss ich hier ein letztes Mal betonen, ist ein wunderbar
leichter Weg, unser wahres Selbst zu erfahren. Wir können dabei mit
allem Arbeiten, was der Moment so bietet. Jeder erdenkliche Mist
führt mit der rechten Frage in ein freies, glückliches Sein.
Atma
Vichara ist damit die geschickte Schwester der Meditation, die den
Weg in einen meditativen Zustand weisen kann. Sie bereitet vor und
ist der Fingerzeig, dem wir folgen. Die eigentliche Meditation ist
das entspannte, gelöste Verweilen in diesem Zustand.