Samstag, 12. Dezember 2020

Oh Langeweile, getreuer Fingerzeig!

Einem eifrigen Praktizierenden des Atma Vichara - der Suche nach dem Ich – ist alles was in und um uns geschieht eine willkommene Gelegenheit. Eine Gelegenheit zur Innenschau, zur Überprüfung, wem das jetzt eigentlich widerfährt, was auch immer im Moment geschieht.

Alles, was wir an Eindrücken aufnehmen und von dem wir glauben, dass wir es wahrnehmen, dass es uns betrifft und beeinflusst; dass es der Person, die wir sind, geschieht - dies alles dient der Überprüfung der von uns geglaubten Wahrheit, dass wir eine Person in einer Welt sind. Die Wahrheit, dass es uns und das andere gibt – mich und die Welt, mich und die anderen Leute...

Wir verstehen überhaupt nicht, bevor wir uns dieser Suche nach einer tieferen Wahrheit widmen, wie verletzlich und traurig uns dieser Glaube machen kann. Die Person ist durch den Geist bestimmt, durch den Glauben, die Weltsicht, die Prägung und allen Gedanken und Emotionen, die aus der persönlichen Anpassung des Geistes an diese Welt resultieren.

Der Körper ist dabei das Bindeglied, als Produkt dieser Welt, die ihn formte und den Geist, der an den Körper gebunden ist.

Atma Vichara löst diese Vorstellungen auf. Wir überprüfen dabei direkt am Ursprung aller weiteren Vorstellungen, ob diese wahr sein können, einfach nur, indem wir unser Ich in den Fokus rücken.

Aktivität contra Nichtstun

Um überhaupt offen für diese Suche oder diesen verschärften Blick zu sein, ist das Verweilen eine Voraussetzung – so wie ein Fechter, ein Bogenschütze oder ein Kampfkünstler auf einen stabilen Stand angewiesen ist, so erfordert Atma Vichara eine innere Haltung der Stille, des aufmerksamen Blicks.

Das genaue Gegenteil dieser für die Innenschau erforderlichen Haltung ist die Zerstreuung. Welche Ironie, in einer Gesellschaft zu leben, die sich in einem ständigen Kampf gegen das Nichtstun und die gefürchtete Langeweile befindet. Neben der Arbeit wird noch vielfältigen Aktivitäten nachgegangen, nebenbei wird das Smartphone gecheckt und die freie Zeit ist auf Wochen hinaus verplant. Verpönt ist, einfach nur dazusitzen und vor sich hinzustarren – das Nichtstun dem emsigen Treiben vorzuziehen. Ein trügerisches Vorurteil, dass leicht zu entkräften ist, wenn man weiß, wie Nichtstun wirklich geht und wie viel Glück es erfahrbar macht...

Ich bin´s doch

Wer ahnt schon, dass die verhasste Langeweile ein Fingerzeig, ein Rettungsring ist, den wir ergreifen können? Sie macht die Aktivität des Geistes spürbar in einem Moment, der uns die Gelegenheit gibt, einfach zu hinterfragen, zu wem diese Langeweile, dieses Gefühl eigentlich kommt. Denn wie jeder Gedanke, jede Körperempfindung und jede andere Emotion lässt sich natürlich auch ein Gefühl der Langeweile im Hinblick auf den Adressaten hinterfragen.

Die Antwort auf die Frage: „Zu wem kommt dieses Gefühl?“, ist zunächst immer: ich empfinde die Langeweile. Sie kommt zu mir, ich nehme sie wahr, in meinem Geist und meinen Empfindungen. Es entsteht dabei eine Empfindung für dieses Ich, eine persönliche Geschichte, die sich in Bildern aufdrängen will. Ich bleibe in diesem Moment bei der Empfindung von Ich, bei dem was schaut und was in diesem Beispiel die Langeweile erkennt. Das ist eine klare bekannte Empfindung von Ich, dem Zentrum, um welches die Person konstruiert ist – dieses Ich ist das Selbstverständnis, das wir haben.

Dieses Selbstverständnis, dieses Ich wird in dem Moment gesehen und erkannt. Es wird erkannt von etwas, dass für den Geist nicht greifbar ist, weil es den Geist beobachtet und nicht der Geist ist.

Wollen wir diesen Beobachter erkennen, dann erfordert dies eine weitere Frage. Die Frage lautet „Wer bin ich?“ oder (nach Belieben): „Was bin ich?“ oder „Was ist das?“. Diese Frage wird ohne Absicht gestellt, eine Antwort zu erhalten. Wer eine Antwort denkt, hat diesen Schritt verbockt. Nicht schlimm, Atma Vichara ist wie ein Spiel, das man den ganzen Tag spielen kann.

Ich bin

Die eigentliche Antwort oder besser gesagt: das eigentliche Erleben, das aus dieser Frage resultiert ist eine Bewegung des Bewusstseins. Unser Ich-Empfinden wandert vom Kopf ins Herz. Dabei entsteht das Gefühl von Raum, von aufgelöst-sein, von Freiheit und Liebe. Wenn wir darin verweilen, sind wir unserem eigentlichen Ich ein ganzes Stück näher. Wie wir diese tiefere Wahrheit nennen, spielt dabei keine Rolle. Man kann es „Ich bin“ nennen, als Hinweis, dass es eine freie Individualität ist, die wir sind, ungetrübt von persönlichen Dingen, einfach frei und seiner Göttlichkeit bewusst.

Fantastisch, dass dies durch eine einfache aufmerksame Frage erfahrbar ist.

Schrumpfkopf

Es ist aber genauso fantastisch zu sehen, wie schnell wir aus diesem natürlichen Sein wieder in den Kopf wandern und zu einem problembeladenen Wesen schrumpfen. Der Kopf bzw. die Gedanken treiben das freie Sein wieder in die Person. Ohne Gedanken sind wir ein glücklicher Niemand, mit Gedanken ein schrumpfkopfiger Jemand.

Gute Schwestern

Atma Vichara, das muss ich hier ein letztes Mal betonen, ist ein wunderbar leichter Weg, unser wahres Selbst zu erfahren. Wir können dabei mit allem Arbeiten, was der Moment so bietet. Jeder erdenkliche Mist führt mit der rechten Frage in ein freies, glückliches Sein.

Atma Vichara ist damit die geschickte Schwester der Meditation, die den Weg in einen meditativen Zustand weisen kann. Sie bereitet vor und ist der Fingerzeig, dem wir folgen. Die eigentliche Meditation ist das entspannte, gelöste Verweilen in diesem Zustand.

 

Sonntag, 22. November 2020

Shine on!

Novembersonne – draußen ist es kühl und dennoch wärmt sie noch angenehm. Unzweifelhaft lebt es sich mit Sonnenlicht ein bisschen leichter - die Welt wirkt einladend und freundlich. 

Unter freiem Himmel stehen und mit zusammengekniffenen Augen die warmen Strahlen genießen. Und wenn es nur ein paar Minuten sind. Welch´ schöne Abwechslung zu den regnerischen Tagen.

Die Sonne scheint durch die kahlen Baumkronen. Sie ist wie ein Gleichnis für etwas, das ich kaum beschreiben kann, ohne kitschig zu klingen. Sie erinnert an das Licht, welches mich jede Nacht umhüllt, wenn ich mit geschlossenen Augen im Bett liege. Wenn plötzlich alles hell und warm wird und das Leben nicht leichter sein kann.

Da sind diese Assoziationen, wie liebevoll und schützend. Das Licht wirkt wohlig - es spendet Leben und hält uns warm. Und es erinnert an das, was viele erleben, die sich in die Stille fallen lassen. „Das Licht des Herzens“, muss ich denken – die abgegriffene Umschreibung, die ich vermeiden wollte; die Umschreibung, die den Nagel aber auf den Kopf trifft. Es ist unser Zuhause, unsere innere Heimat, welche doch immer hier ist. 

Bedingungslose Liebe ist ein Tor in die Stille, unser eigentliches Wesen. Hier, wo es kein Zweites mehr gibt, wortlos, unbeschreiblich.

Aber bereits im Licht versiegen die Gedanken und vermögen das Gemüt nicht zu beschweren. So sind es doch meist bloß die Gedanken an gestern oder morgen, welche jeden Moment ruinieren können und daran hindern, uns mit den Wundern des Lebens treiben zu lassen. Bleischwer lassen sie uns im Fluss des Lebens untergehen, bis wir im trüben Schlamm kleben und uns die Dunkelheit umhüllt. 

Manchmal helfen ein paar Sonnenstrahlen, um uns an die Leichtigkeit im Leben zu erinnern, 

Sonnenlicht ist in dieser Zeit ein schönes Geschenk.“, kommt mir abends in den Sinn, während ich für den Tag danke. Die schönen Dinge sind oft so einfach und doch so wundersam.


 

Sonntag, 8. November 2020

König des Herzens

Gehört dein nächster Gedanke jemandem? Frage dich, wer dieser Jemand sein sollte - suche nach ihm. Was findest du? Erinnerungen? Vorstellungen? Eine Geschichte? Ein Gefühl oder eine Empfindung? Könntest du das sein? Vergänglich, kurz aufflackernd? Suche weiter, wenn es dir möglich ist. Es ist eine Gnade, genau hinschauen zu wollen – das Verlangen zu haben, sich selbst zu erkennen.

Die Suche endet im Nichts. Zwischen den Gedanken und Gefühlen ist immer Leere. Und das, was sowohl die Bewegungen im Geiste als auch die Leere bemerkt, ist zwar immer da aber nicht zu fassen, nicht zu begreifen.

Dieser Jemand steht im leeren Raum und ist nicht existent, wenn wir ihn suchen. Nichts als Schall und Rauch, Worte und Trugbilder.

Du findest nur das Erkennen an sich. Das Erkannte, der Erkennende und das Erkennen verschmelzen, sind eins. Nur der Geist trennt, der Verstand seziert in Millionen Teile. Lass dich von der Illusion der Vielfalt nicht ablenken.

Der Blick darf im Herzen ruhen, still und klar, mitten im Licht, das du dort erkennen kannst. Bleib mit der ganzen Aufmerksamkeit hier und lass alles andere geschehen.

Keine Gedanken, kein Wunsch, ein Jemand zu sein. Wir alle sind der gleiche Niemand, ein glückliches, paradoxes, extrem reiches Nichts. Ein Nichts, das wir niemals verstehen und an das der Verstand nicht reicht. Hier darf alles fallen, was einem Jemand scheinbar gehört.

Ja, es bleibt immer die Versuchung, ein Jemand zu sein. Ein Jemand mit Grenzen, jemand, der alleine ist oder aber in schlechter Gesellschaft. Jemand braucht immer jemand, irgendwas und das nächste. Und ein Jemand weiß, dass auf Sonnenschein der Regen folgt und umgekehrt. 

Jemand ist niemals frei aber muss immer wichtig sein.

Dualität oder Freiheit, Bedürfnis oder Liebe, Saturn oder Sonne... ersteres braucht immer einen trügerischen Jemand, um überhaupt relevant zu sein; letzteres ist einfach, was wir alle sind.

Im Herzen kann ein Jemand nicht existieren. Ohne Gedanken stirbt er einfach und niemand wird ihn vermissen. Die Qualität des Herzens ist nicht fassbar und bedingungslos. Da ist niemand ein König, sondern ein Königreich ohne Grenzen, ohne Anfang und Ende.

Der König des Herzens ist allumfassend, unpersönlich und grenzenlos. Er verschwindet in der Liebe zum Sein und zeigt seine Qualitäten in einem Jemand, der erkannt hat, dass er immer ein Niemand war.


 

Sonntag, 11. Oktober 2020

Reife Leistung und ungewöhnliche Anforderungen

Keiner weiß es besser, wenige kennen sich so gut aus.“ Vielleicht sagen das nur wenige derart direkt, aber insgeheim ist unpassende Arroganz eine populäre Haltung, der ich des Öfteren begegnet bin. Dabei lässt sich das Dilemma leicht erahnen: der durch die persönliche Lebensführung unvermeidbar gewordene, persönliche Höhenflug zwingt irgendwann zu einer ebenso unvermeidbaren, persönlichen Landung.

Die Erhöhung der Person ist ein Wesenszug eines modernen Auftretens im beruflichen und gesellschaftlichem Leben, sofern man eine Position einnimmt, welche Verteidigungsmaßnahmen erfordert. Die Verteidigung des Rufs, der Kompetenz, des Ranges und allem, was der Person die Wichtigkeit verleiht, welche nicht bloß die Berechtigung zum guten Leben erteilt, sondern auch mit gesellschaftlichen Rechten einhergehen soll. Ähnlich wie ein Schmetterling erblüht der erfolgreiche Mensch im günstigen Fall für eine kurze Phase in seinem Leben zu einer bewunderten Person, der Anerkennung gebühren muss.

Mit aller Deutlichkeit wird gesellschaftlich kommuniziert, dass Fleiß, Intelligenz, Leistungsbereitschaft und verschiedene andere Skills den Erfolg begünstigen. Damit ist das Bild einer Person abgerundet, die den Erfolg verdient hat.

Wer schon einmal wichtige Geschäftsleute, z.B. am Nachbartisch im Restaurant beobachtet hat, kann neben fachlichen Gesprächen auch eine leicht erkennbare Hackordnung ausmachen. Der Rudelführer lässt sich hier ebenso leicht erkennen, wie in jeder anderen Gruppe sozialer Tiere – Hunde, Wölfe, Pferde, Schimpansen – überall wird ein ähnliches Verhalten gezeigt. Im Tierreich dient dies der Überlebensfähigkeit einer Gruppe, da z.B. der stärkste Affe oder Hengst sein Erbgut weitergeben darf und über diverse Rechte verfügt, um die Gruppe erfolgreich zu leiten.

Diese natürliche Regelung macht selbstredend nur beschränkt Sinn am Tisch der Geschäftsleute, auch wenn die Parallelen im Gehabe offensichtlich sind. Es ließe sich noch eine Sinnhaftigkeit im Bezug auf eine erfolgreiche Unternehmung machen, sofern der Schlauste und Fähigste in der Gruppe tatsächlich diese Unternehmung leitet. Die Zweifel sind diesbezüglich unter Tieren rarer gesät als in einer Gruppe Menschen, welche selbstredend kniffligere Methoden kennen, um die Karriereleiter emporzusteigen.

So weit so gut. Problematisch kann es dann werden, wenn eine Wahrnehmungsstörung die Person dazu beflügelt, diese berufliche Position in andere Lebensbereiche hineintragen zu wollen. Sei es nun die nervige Prahlerei im sozialen Raum oder die dauerhafte Betonung, alles ließe sich managen, wenn man es nur richtig angeht, inklusive Optimierungs(rat)schlägen. Zuletzt durfte ich noch beobachten, wie ein älterer Alpha-Geschäftsmann wie selbstverständlich eine junge Kellnerin in eine unnötig lange Prahlerei über seine beruflichen Leistungen verwickelte, inkl. Lebenstipps für die junge Frau, und wie er selbstverständlich davon ausging, dass die junge Dame dies zu interessieren hat. Diese peinliche Überhöhung der Person findet sich in Ansätzen wie ein Pilzgeschwür in der ganzen Gesellschaft. Das ist dann nicht nur ein rein männliches Problem, sondern bezieht auch die gefühlte Wichtigkeit vieler Frauen ein.

Mir sind auch Narzissten bekannt, die beruflich sehr erfolgreich sind. Den ein oder anderen Narzissten kennen wir alle aus den Medien. Narzissmus ist ein anerkannte Störung der Selbstwahrnehmung, die sich durch eine irritierende Selbstverliebtheit äußert. Trotz dieser auf persönlicher Ebene eher abstoßenden Eigenschaft, kann diese krankhafte Selbsterhöhung den beruflichen Erfolg noch beflügeln. Ich kann nicht anders als zu fragen, was dieser Umstand über unsere Gesellschaft und unsere Kultur aussagt?

Anhand der sich ändernden pädagogischen Ziele kann man ablesen, wie sich eine Gesellschaft wandelt. Waren es in den 50er Jahren noch Werte wie Disziplin und Gehorsam, sind heute Selbstbewusstsein und Ellenbogen angesagt. Dies zeigt, dass sich das gesamte gesellschaftliche Klima verändert hat. Niemand möchte, dass sein Kind beruflich untergeht und ermutigt es eher, sich mit verschiedenen Mitteln durchzusetzen.

Die veränderten Erziehungsziele lassen sich auch in Verbindung bringen mit dem aufkeimenden Neoliberalismus der 80er Jahre, der Amerika zu dem gemacht hat, was es heute ist und auch an uns leider nicht spurlos vorbeigeht. Es fragt sich, was auf den Raubtierkapitalismus folgt: nun, die Anzeichen sind nicht zu übersehen, wir befinden uns an einem Wendepunkt. Entsprechend werden sich die Wertevorstellungen in den kommenden Jahrzehnten wohl wieder anpassen und, kurz gefasst, zu mehr Tugenden der Vorsicht in stark kontrollierten Gesellschaftsformen tendieren – davon bleiben dann auch Erziehungsideale nicht ausgenommen.

Ich werde das vielleicht an anderer Stelle nochmal ausführen. Hier geht es mir um eine andere Frage, denn die Probleme der Zeit lassen sich nun mal nicht politisch lösen und sie werden sich vermutlich niemals lösen lassen. Warum sollte sich nach X-Jahrtausenden menschlicher Gesellschaften etwas an den hervorstechenden Merkmalen, wie Krieg und Untergang ändern? Das Drama des Lebens sieht dies vermutlich nicht vor. Und moderner Kapitalismus ist wahrlich keine Gesellschaftsordnung, die auf Langlebigkeit ausgelegt wurde. Jeder zusätzliche Milliardär ist ein Marker für den bevorstehenden Kollaps einer Demokratie.

Beginnen wir also lieber bei uns selbst und der Frage, wie weit die Mechanik von Körper und Psyche, die eine (geglaubt) wichtige Person zu erschaffen vermag, in unser Wesen reicht? Wie tief ist diese Person im Wesen des Menschen verankert?

Wir haben uns angewöhnt, von einer großen Tiefe in unserer Psyche auszugehen. Dabei ist die Kruste, welche die Person ausmacht, in der Gesamtsphäre des Menschen eher eine winzige Größe. Die Eigenschaften und Eigenarten einer Person verschwinden bereits mit der Fähigkeit eine fortgeschrittene meditative Haltung einzunehmen. In der gedanklichen Stille verschwinden die Ideen und Erinnerungen. Die Vorstellungen über uns müssen gedanklich immer wieder erneuert werden, damit wir uns damit identifizieren können. Verschwinden die Ideen über uns selbst, verschwindet auch die Person. Was bleibt ist eine schöne Aura des Friedens und eine liebevolle Haltung allem gegenüber.

Menschen, die sich auf einen solchen Weg einlassen, verändern sich über die Jahre dramatisch hin zu sanfteren und zugleich kompromissloseren Wesen. Kompromisslos in der Wahrheitsliebe und in dem Bedürfnis, die Tiefe des wiedererkannten Selbst auszuloten.

Der Mensch reift von einem mit der Person identifizierten, hin zu einem Wesen, dass keine Probleme mit seiner wachsenden Unwissenheit hat und seine eigene Gegenwart am liebsten in Stille genießt. Die Unwissenheit wächst, da sich alle Konzepte nach und nach als falsch erweisen: Konzepte über uns selbst, die Welt, den Sinn des Lebens.

Die Begegnung zwischen Menschen ändert sich ebenfalls in diesem Prozess. Es gibt die oberflächlichen Begegnungen von „Wie heißt du und was machst du beruflich?“. Diese dienen einer gedanklichen Einordnung auf Basis verschiedener Konzepte, die wir über Menschen gespeichert haben. Das ist die langweiligste und unwürdigste Form, wie wir anderen begegnen können. Man kann die Schubladen im Fragenden aus einer stilleren Perspektive regelrecht aufspringen hören – die Kategorisierung von Menschen erfolgt schnell, bequem und unbewusst.

Dabei laufen wir Gefahr, die wichtigsten Aspekte im Gegenüber überhaupt nicht zu erfassen und gleich einem Schlafwandler, blind und voller Illusionen, das eigentliche Leben zu versäumen. Wir funktionieren dann gemäß einer Programmierung, welche das Produkt unserer bisherigen Lebenserfahrungen ist – ein Leben als Automat, der das Leben immer weniger hinterfragt.

Direkter aber auch wenig verbreitet, ist eine Begegnung in der Stille. Sind wir selbst still, sind unsere Gedanken ruhig und absichtslos, erfassen wir den Menschen zunächst in dem dem, was nicht still ist und können erahnen, was dahinter verborgen ruht.

Ist der andere auch still, wird die Begegnung erhebend. Ihr entspringt dann reine Freude und eine liebevolle Haltung, die unserer unverfälschten Natur entspricht. Diese Begegnungen sind selten und wertvoll und ein Zeichen größerer Reife. Das ist es, was als „noble company“ bezeichnet wird und was unserer Entwicklung hilfreich ist, da mehrere Menschen gemeinsam auf das gemeinsame Wesen ausgerichtet sind und sich selbst im anderen wiedererkennen dürfen.

Es ist die Anforderung an ein soziales Leben, welches vonnöten ist, um die Perspektive für die Wahrheit nicht zu verlieren. Diese Anforderung ist zugleich ein Bedürfnis und ein lebendiger Ausdruck der Stille in uns. Wir verlieren dabei mehr und mehr die Fähigkeit, gesellschaftlich angemessen auf Heucheleien zu reagieren. Aber das ist ein geringer Preis für die Erkenntnis, dass wir nicht nur die Marionetten in einem Spiel, sondern zugleich auch die Puppenspieler, die Bühne und die Zuschauer sind.

 

Dienstag, 6. Oktober 2020

Das Lügenkarussell


Das Lügenkarussell, es dreht sich immer schneller. Eigentlich, so mag man denken, müsste den Akteuren angesichts ihrer Lügen mittlerweile speiübel sein – vielleicht sind sie aber auch einfach an den Geschmack von Verdorbenem gewöhnt.
Als Zuschauer ist es jedenfalls nur schwer zu ertragen, mit welcher Geschwindigkeit hirnrissige Absurditäten an die Bevölkerung abgesondert werden. Vielen einstigen Unterstützern ist das eifrige Nicken mittlerweile vergangen, andere können nicht mehr damit aufhören. Wem die Sorge um die Gesundheit nicht den Verstand zerfressen hat, blickt fragend auf die Meldungen und weiß nicht mehr so recht, was das alles soll.
Für mich ist es eine dankbare Zeit des Chaos, in der das Übel mehr und mehr ans Tageslicht tritt. In dem Chaos liegt viel Ruhe. Für andere bedeutet diese Zeit, dass die eigene Verwirrung, lähmende Wut, Angst und Enttäuschung eine größere Bühne bekommt und endlich beachtet werden kann. Dann sind da noch diejenigen, welche immer noch an den geliebten Alltag glauben und auf eine rettende Spritze warten – hoffend, dass die Vergangenheit zurückkehrt.
Nein, jetzt ist die Zeit, das große Spiel zu überschauen und hinter sich zu lassen. Die vielen Wegweiser sind kaum noch zu übersehen. Es liegt kein Heil in der Welt, keine Rettung in der Zukunft. Eingesperrt sollt ihr sein, an ein unsichtbares Schreckgespenst sollt ihr glauben, sagt der Ansager im Lügenkarussell. Dreht euch für immer und vergesst jede Vernunft.
Aber wen sollen die Psychopathen schrecken mit ihren Märchen? Jeder Mensch stirbt ohnehin, verfault in der Erde oder verbrennt zu Asche. Was soll für eine Person, die am Leben hängt, denn noch schlimmer sein als der ohnehin wartende Tod?
Alles ist ständig in Veränderung und die Geschichte lehrt uns das immer gleiche Dilemma: eine untergehende Gesellschaft hat ihr Haltbarkeitsdatum überschritten und war es vielleicht einfach nicht wert, zu überleben.
Nur Mut, es ist nicht mehr die Zeit, sich noch ernsthaft mit noch mehr Fakten zu befassen und den geistigen und physischen Widerstand weiter zu befeuern. Es ist Zeit, die Augen aufzumachen, die Welt als das zu sehen, was sie ist: ein Schmierentheater, das den einen wirklichen Zuschauer nicht berühren kann. Also fokussiere dich auf den einen Zeugen, der den irdischen Workshop unablässig, gütig und in Liebe beobachtet.
Denn die Existenz dieser Welt ist auch schon ihre einzige Bestimmung. Und sie existiert nur, weil wir sie in Liebe kreieren. Alles was darin passiert, geschieht in uns selbst. Wir sind der Satan, wir sind Gott das Lämmchen, das reuig in die Runde blicken und der Wolf, der das Lämmchen reißen will – Himmel und Hölle vereint im liebevollen Spiel.
Schau nicht in die Welt, schau in Dich! Es ist alles so nah. Da ist ein Gedanke, da ist ein Kribbeln, da ist noch ein Gedanke und was noch? Genau, zwischen den körperlichen und geistigen Sensationen ist nur Leere. Unendliche, befreiende Leere, die entdeckt werden möchte. Sie ist die Grundlage für alles, was erscheint. Sie ist der Hintergrund aller Bilder und Geräusche, von denen du glaubst, sie fänden da draußen statt.
In der Leere liegt Stille, und in der Stille löst sich alles in seine Bestandteile auf: in Farben und Töne, wie auf einem LSD-Trip. Die LSD-Reisenden früherer Tage kannten diesen Blick auf die Welt, konnten ihn jedoch niemals länger halten. Sie verschmolzen mit der Welt in wundervollen Farben und wussten dies nicht so recht zu deuten. Es sind die jahrtausendealten Erfahrungen, die den Schlüssel für eine beständige Änderung der Perspektive liefern: die unablässige Innenschau, welche gepflegt werden kann und vielleicht das größte Geschenk ist, das jemand erhalten kann,
Die größer werdenden Ängste, Enttäuschungen und die Wut dieser Zeit werden dadurch rettende Sprungbretter in die Freiheit – bittere Medizin, die einmal verdaut, den Blick in die Unendlichkeit gewährt.

Sonntag, 6. September 2020

Memento mori


Memento mori

Memento Mori“ ist die Aufforderung, sich des eigenen Sterbens bewusst zu werden, sich an seine Sterblichkeit zu erinnern. Ursprünglich beruht dieser lateinische Spruch auf einer Bewegung in der mittelalterlichen Kirche. Ausgehend vom Benediktinerkloster Cluny in Burgund, sollte dieser Spruch die Ernsthaftigkeit im klösterlichen Handeln bestärken. Der Tod kommt schneller, als dir lieb sein mag, also nutze die Zeit besser mit Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit im klösterlichen Leben. So stärkten die Benediktinermönche ihre Konzentration auf die geistige Welt und ihre Regeln, da das irdische Leben nun einmal vergänglich ist.
Dieses Thema findet sich natürlich auch an anderen Stellen in der Geschichte, nicht nur im Mittelalter, und es wird die Menschheit immer inspirieren, auch wenn die meisten Menschen ein „Memento mori“ als morbide und vor allem als überflüssig ansehen. Mit dem Ergebnis, dass der Tod verdrängt und das näher rückende Sterben mit Angst belegt sein wird. Der eigene Tod scheint ein verdrängenswertes Ereignis zu sein, mit dem man sich nur befasst, wenn es um die Weitergabe des Mammons geht und das Erbe geregelt werden soll. Man befasst sich lieber mit dem Leben und vertraut darauf, dass es hoffentlich länger als erwartet sein wird.
Dabei sterben wir jede Nacht. Im Tiefschlaf sind wir nicht mehr vorhanden, auch wenn uns der Verstand etwas anderes sagen mag, indem er daran erinnert, dass wir lediglich friedlich im Bett lagen und der anbrechende Tag auf uns wartete. Die Realität ist aber, dass wir in den Stunden des Tiefschlafs als Person nicht stattfinden. Keine Gedanken, denen wir beharrlich folgen, kein Körperempfinden, dass uns unsere Existenz bestätigt, keine Erlebnisse, die uns so wichtig sind. Es ist umso komischer, dass dies die erholsamsten Stunden im 24 Stunden Zyklus eines Tages sind. Niemand ist zudem erfreut darüber, aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, aus dem süßen Nichtsein. Das Leben weist uns also bereits jeden Tag aufs Neue darauf hin, dass unsere Nichtexistenz kein Drama ist, sondern ein äußerst entspannter Zustand.
Betrachten wir es rational, dann ist unser Leben nicht lang – das realisieren wir spätestens in der sogenannten Mitte des Lebens. Unser „food body“ wie Nisargadatta Maharaj unseren Körper nannte, existiert nur eine relativ kurze Zeit und auch nur, solange er gefüttert wird. Er ist das wundersame Produkt von Eizelle und Sperma und wird erhalten durch die Nahrung, die wir in eine Öffnung im Kopf einführen. Die Nahrung wandert durch den Körper, der automatisch die wesentlichen Nahrungsbestandteile nutzt und den Rest durch eine andere Körperöffnung am anderen Körperende wieder ausscheidet. Das ist alles wie ein sehr merkwürdiger Traum und hat nichts mit unserem eigentlichen Wesen zu tun, dennoch stellen wir eine Beziehung zu diesem Körperautomaten her. Diese Beziehung geht so weit – und das ist das eigentliche Dilemma - dass wir uns komplett mit diesem Körper und den Gedanken und Gefühlen, die er uns vermittelt, identifizieren.
Das „Memento mori“ kann eigentlich nur als Chance betrachtet werden, diese Identifikation in Frage zu stellen. Vielleicht wehren wir uns ja so sehr gegen den Tod, weil er einfach nicht wahr ist. Lassen wir unsere Gedanken und Erinnerungen bzw. unsere sogenannten Lebenserfahrungen, die in der Erinnerung stattfinden, weg, dann schaut das immer gleiche Wesen aus unseren Augen, ganz gleich, wie alt der Körper sein mag. Dieses Wesen ist so nah, dass wir es übersehen. Gedanken können es nicht erfassen. Wir werden uns seiner nur bewusst, wenn wir gelernt haben, still zu sein.
Somit ist ein Gedenken an den eigenen Tod in erster Linie eine Motivation bereits während des Lebens zu sterben, was bedeutet, sich, während man noch atmet, seiner eigenen Natur bewusst zu werden. Zu erkennen, dass das niemals geboren wurde und damit niemals sterben kann. Diese Erkenntnis kann in jedem Menschen erwachen, niemand muss daran glauben.
Der Glaube kann ein Werkzeug sein, aber er ist beileibe nicht notwendig, in den meisten Fällen sogar eher hinderlich. Es geht vielmehr darum, beharrlich zu forschen und alles genau zu beobachten, ohne sich durch Geist und Glaube zu beschränken. Wir sind z.B. in der Lage, jede Bewegung und jede Stille in unserem Gedankenleben zu erkennen. Warum? Weil wir kein Gedanke sind, sondern das, worin Gedanken stattfinden können. Dasselbe gilt für unseren Körper: jede Empfindung, jedes Magengrummeln, jedes Jucken und Zwicken können wir aufmerksam verfolgen. Wir existieren vor dem Jucken, während und danach. Es findet in uns statt, der ganze Körper findet in uns statt. Wir können mit geschlossenen Augen alle Geräusche wahrnehmen: Musik, Autos, das Rauschen der Blätter, Vogelgezwitscher... alle Geräusche finden in uns statt und machen uns deutlich, dass wir das Zentrum von allem sind, dass sich alles in unserem Bewusstsein abspielt. Das ist die direkte Erfahrung, die Realität. Die Gedanken wollen uns eine andere Geschichte erzählen, die Story von uns als Körper in der Welt, der etwas wahrnimmt und darin lebt – eine Geschichte, die rein gar nichts mit der Erfahrung zu tun hat, sondern lediglich ein Glaube ist. Das Leben an das wir Glauben ist ein Gedankenkonstrukt, dass leicht widerlegt werden kann, wenn wir denn nur einen Moment innehalten.