Sonntag, 11. Oktober 2020

Reife Leistung und ungewöhnliche Anforderungen

Keiner weiß es besser, wenige kennen sich so gut aus.“ Vielleicht sagen das nur wenige derart direkt, aber insgeheim ist unpassende Arroganz eine populäre Haltung, der ich des Öfteren begegnet bin. Dabei lässt sich das Dilemma leicht erahnen: der durch die persönliche Lebensführung unvermeidbar gewordene, persönliche Höhenflug zwingt irgendwann zu einer ebenso unvermeidbaren, persönlichen Landung.

Die Erhöhung der Person ist ein Wesenszug eines modernen Auftretens im beruflichen und gesellschaftlichem Leben, sofern man eine Position einnimmt, welche Verteidigungsmaßnahmen erfordert. Die Verteidigung des Rufs, der Kompetenz, des Ranges und allem, was der Person die Wichtigkeit verleiht, welche nicht bloß die Berechtigung zum guten Leben erteilt, sondern auch mit gesellschaftlichen Rechten einhergehen soll. Ähnlich wie ein Schmetterling erblüht der erfolgreiche Mensch im günstigen Fall für eine kurze Phase in seinem Leben zu einer bewunderten Person, der Anerkennung gebühren muss.

Mit aller Deutlichkeit wird gesellschaftlich kommuniziert, dass Fleiß, Intelligenz, Leistungsbereitschaft und verschiedene andere Skills den Erfolg begünstigen. Damit ist das Bild einer Person abgerundet, die den Erfolg verdient hat.

Wer schon einmal wichtige Geschäftsleute, z.B. am Nachbartisch im Restaurant beobachtet hat, kann neben fachlichen Gesprächen auch eine leicht erkennbare Hackordnung ausmachen. Der Rudelführer lässt sich hier ebenso leicht erkennen, wie in jeder anderen Gruppe sozialer Tiere – Hunde, Wölfe, Pferde, Schimpansen – überall wird ein ähnliches Verhalten gezeigt. Im Tierreich dient dies der Überlebensfähigkeit einer Gruppe, da z.B. der stärkste Affe oder Hengst sein Erbgut weitergeben darf und über diverse Rechte verfügt, um die Gruppe erfolgreich zu leiten.

Diese natürliche Regelung macht selbstredend nur beschränkt Sinn am Tisch der Geschäftsleute, auch wenn die Parallelen im Gehabe offensichtlich sind. Es ließe sich noch eine Sinnhaftigkeit im Bezug auf eine erfolgreiche Unternehmung machen, sofern der Schlauste und Fähigste in der Gruppe tatsächlich diese Unternehmung leitet. Die Zweifel sind diesbezüglich unter Tieren rarer gesät als in einer Gruppe Menschen, welche selbstredend kniffligere Methoden kennen, um die Karriereleiter emporzusteigen.

So weit so gut. Problematisch kann es dann werden, wenn eine Wahrnehmungsstörung die Person dazu beflügelt, diese berufliche Position in andere Lebensbereiche hineintragen zu wollen. Sei es nun die nervige Prahlerei im sozialen Raum oder die dauerhafte Betonung, alles ließe sich managen, wenn man es nur richtig angeht, inklusive Optimierungs(rat)schlägen. Zuletzt durfte ich noch beobachten, wie ein älterer Alpha-Geschäftsmann wie selbstverständlich eine junge Kellnerin in eine unnötig lange Prahlerei über seine beruflichen Leistungen verwickelte, inkl. Lebenstipps für die junge Frau, und wie er selbstverständlich davon ausging, dass die junge Dame dies zu interessieren hat. Diese peinliche Überhöhung der Person findet sich in Ansätzen wie ein Pilzgeschwür in der ganzen Gesellschaft. Das ist dann nicht nur ein rein männliches Problem, sondern bezieht auch die gefühlte Wichtigkeit vieler Frauen ein.

Mir sind auch Narzissten bekannt, die beruflich sehr erfolgreich sind. Den ein oder anderen Narzissten kennen wir alle aus den Medien. Narzissmus ist ein anerkannte Störung der Selbstwahrnehmung, die sich durch eine irritierende Selbstverliebtheit äußert. Trotz dieser auf persönlicher Ebene eher abstoßenden Eigenschaft, kann diese krankhafte Selbsterhöhung den beruflichen Erfolg noch beflügeln. Ich kann nicht anders als zu fragen, was dieser Umstand über unsere Gesellschaft und unsere Kultur aussagt?

Anhand der sich ändernden pädagogischen Ziele kann man ablesen, wie sich eine Gesellschaft wandelt. Waren es in den 50er Jahren noch Werte wie Disziplin und Gehorsam, sind heute Selbstbewusstsein und Ellenbogen angesagt. Dies zeigt, dass sich das gesamte gesellschaftliche Klima verändert hat. Niemand möchte, dass sein Kind beruflich untergeht und ermutigt es eher, sich mit verschiedenen Mitteln durchzusetzen.

Die veränderten Erziehungsziele lassen sich auch in Verbindung bringen mit dem aufkeimenden Neoliberalismus der 80er Jahre, der Amerika zu dem gemacht hat, was es heute ist und auch an uns leider nicht spurlos vorbeigeht. Es fragt sich, was auf den Raubtierkapitalismus folgt: nun, die Anzeichen sind nicht zu übersehen, wir befinden uns an einem Wendepunkt. Entsprechend werden sich die Wertevorstellungen in den kommenden Jahrzehnten wohl wieder anpassen und, kurz gefasst, zu mehr Tugenden der Vorsicht in stark kontrollierten Gesellschaftsformen tendieren – davon bleiben dann auch Erziehungsideale nicht ausgenommen.

Ich werde das vielleicht an anderer Stelle nochmal ausführen. Hier geht es mir um eine andere Frage, denn die Probleme der Zeit lassen sich nun mal nicht politisch lösen und sie werden sich vermutlich niemals lösen lassen. Warum sollte sich nach X-Jahrtausenden menschlicher Gesellschaften etwas an den hervorstechenden Merkmalen, wie Krieg und Untergang ändern? Das Drama des Lebens sieht dies vermutlich nicht vor. Und moderner Kapitalismus ist wahrlich keine Gesellschaftsordnung, die auf Langlebigkeit ausgelegt wurde. Jeder zusätzliche Milliardär ist ein Marker für den bevorstehenden Kollaps einer Demokratie.

Beginnen wir also lieber bei uns selbst und der Frage, wie weit die Mechanik von Körper und Psyche, die eine (geglaubt) wichtige Person zu erschaffen vermag, in unser Wesen reicht? Wie tief ist diese Person im Wesen des Menschen verankert?

Wir haben uns angewöhnt, von einer großen Tiefe in unserer Psyche auszugehen. Dabei ist die Kruste, welche die Person ausmacht, in der Gesamtsphäre des Menschen eher eine winzige Größe. Die Eigenschaften und Eigenarten einer Person verschwinden bereits mit der Fähigkeit eine fortgeschrittene meditative Haltung einzunehmen. In der gedanklichen Stille verschwinden die Ideen und Erinnerungen. Die Vorstellungen über uns müssen gedanklich immer wieder erneuert werden, damit wir uns damit identifizieren können. Verschwinden die Ideen über uns selbst, verschwindet auch die Person. Was bleibt ist eine schöne Aura des Friedens und eine liebevolle Haltung allem gegenüber.

Menschen, die sich auf einen solchen Weg einlassen, verändern sich über die Jahre dramatisch hin zu sanfteren und zugleich kompromissloseren Wesen. Kompromisslos in der Wahrheitsliebe und in dem Bedürfnis, die Tiefe des wiedererkannten Selbst auszuloten.

Der Mensch reift von einem mit der Person identifizierten, hin zu einem Wesen, dass keine Probleme mit seiner wachsenden Unwissenheit hat und seine eigene Gegenwart am liebsten in Stille genießt. Die Unwissenheit wächst, da sich alle Konzepte nach und nach als falsch erweisen: Konzepte über uns selbst, die Welt, den Sinn des Lebens.

Die Begegnung zwischen Menschen ändert sich ebenfalls in diesem Prozess. Es gibt die oberflächlichen Begegnungen von „Wie heißt du und was machst du beruflich?“. Diese dienen einer gedanklichen Einordnung auf Basis verschiedener Konzepte, die wir über Menschen gespeichert haben. Das ist die langweiligste und unwürdigste Form, wie wir anderen begegnen können. Man kann die Schubladen im Fragenden aus einer stilleren Perspektive regelrecht aufspringen hören – die Kategorisierung von Menschen erfolgt schnell, bequem und unbewusst.

Dabei laufen wir Gefahr, die wichtigsten Aspekte im Gegenüber überhaupt nicht zu erfassen und gleich einem Schlafwandler, blind und voller Illusionen, das eigentliche Leben zu versäumen. Wir funktionieren dann gemäß einer Programmierung, welche das Produkt unserer bisherigen Lebenserfahrungen ist – ein Leben als Automat, der das Leben immer weniger hinterfragt.

Direkter aber auch wenig verbreitet, ist eine Begegnung in der Stille. Sind wir selbst still, sind unsere Gedanken ruhig und absichtslos, erfassen wir den Menschen zunächst in dem dem, was nicht still ist und können erahnen, was dahinter verborgen ruht.

Ist der andere auch still, wird die Begegnung erhebend. Ihr entspringt dann reine Freude und eine liebevolle Haltung, die unserer unverfälschten Natur entspricht. Diese Begegnungen sind selten und wertvoll und ein Zeichen größerer Reife. Das ist es, was als „noble company“ bezeichnet wird und was unserer Entwicklung hilfreich ist, da mehrere Menschen gemeinsam auf das gemeinsame Wesen ausgerichtet sind und sich selbst im anderen wiedererkennen dürfen.

Es ist die Anforderung an ein soziales Leben, welches vonnöten ist, um die Perspektive für die Wahrheit nicht zu verlieren. Diese Anforderung ist zugleich ein Bedürfnis und ein lebendiger Ausdruck der Stille in uns. Wir verlieren dabei mehr und mehr die Fähigkeit, gesellschaftlich angemessen auf Heucheleien zu reagieren. Aber das ist ein geringer Preis für die Erkenntnis, dass wir nicht nur die Marionetten in einem Spiel, sondern zugleich auch die Puppenspieler, die Bühne und die Zuschauer sind.

 

Dienstag, 6. Oktober 2020

Das Lügenkarussell


Das Lügenkarussell, es dreht sich immer schneller. Eigentlich, so mag man denken, müsste den Akteuren angesichts ihrer Lügen mittlerweile speiübel sein – vielleicht sind sie aber auch einfach an den Geschmack von Verdorbenem gewöhnt.
Als Zuschauer ist es jedenfalls nur schwer zu ertragen, mit welcher Geschwindigkeit hirnrissige Absurditäten an die Bevölkerung abgesondert werden. Vielen einstigen Unterstützern ist das eifrige Nicken mittlerweile vergangen, andere können nicht mehr damit aufhören. Wem die Sorge um die Gesundheit nicht den Verstand zerfressen hat, blickt fragend auf die Meldungen und weiß nicht mehr so recht, was das alles soll.
Für mich ist es eine dankbare Zeit des Chaos, in der das Übel mehr und mehr ans Tageslicht tritt. In dem Chaos liegt viel Ruhe. Für andere bedeutet diese Zeit, dass die eigene Verwirrung, lähmende Wut, Angst und Enttäuschung eine größere Bühne bekommt und endlich beachtet werden kann. Dann sind da noch diejenigen, welche immer noch an den geliebten Alltag glauben und auf eine rettende Spritze warten – hoffend, dass die Vergangenheit zurückkehrt.
Nein, jetzt ist die Zeit, das große Spiel zu überschauen und hinter sich zu lassen. Die vielen Wegweiser sind kaum noch zu übersehen. Es liegt kein Heil in der Welt, keine Rettung in der Zukunft. Eingesperrt sollt ihr sein, an ein unsichtbares Schreckgespenst sollt ihr glauben, sagt der Ansager im Lügenkarussell. Dreht euch für immer und vergesst jede Vernunft.
Aber wen sollen die Psychopathen schrecken mit ihren Märchen? Jeder Mensch stirbt ohnehin, verfault in der Erde oder verbrennt zu Asche. Was soll für eine Person, die am Leben hängt, denn noch schlimmer sein als der ohnehin wartende Tod?
Alles ist ständig in Veränderung und die Geschichte lehrt uns das immer gleiche Dilemma: eine untergehende Gesellschaft hat ihr Haltbarkeitsdatum überschritten und war es vielleicht einfach nicht wert, zu überleben.
Nur Mut, es ist nicht mehr die Zeit, sich noch ernsthaft mit noch mehr Fakten zu befassen und den geistigen und physischen Widerstand weiter zu befeuern. Es ist Zeit, die Augen aufzumachen, die Welt als das zu sehen, was sie ist: ein Schmierentheater, das den einen wirklichen Zuschauer nicht berühren kann. Also fokussiere dich auf den einen Zeugen, der den irdischen Workshop unablässig, gütig und in Liebe beobachtet.
Denn die Existenz dieser Welt ist auch schon ihre einzige Bestimmung. Und sie existiert nur, weil wir sie in Liebe kreieren. Alles was darin passiert, geschieht in uns selbst. Wir sind der Satan, wir sind Gott das Lämmchen, das reuig in die Runde blicken und der Wolf, der das Lämmchen reißen will – Himmel und Hölle vereint im liebevollen Spiel.
Schau nicht in die Welt, schau in Dich! Es ist alles so nah. Da ist ein Gedanke, da ist ein Kribbeln, da ist noch ein Gedanke und was noch? Genau, zwischen den körperlichen und geistigen Sensationen ist nur Leere. Unendliche, befreiende Leere, die entdeckt werden möchte. Sie ist die Grundlage für alles, was erscheint. Sie ist der Hintergrund aller Bilder und Geräusche, von denen du glaubst, sie fänden da draußen statt.
In der Leere liegt Stille, und in der Stille löst sich alles in seine Bestandteile auf: in Farben und Töne, wie auf einem LSD-Trip. Die LSD-Reisenden früherer Tage kannten diesen Blick auf die Welt, konnten ihn jedoch niemals länger halten. Sie verschmolzen mit der Welt in wundervollen Farben und wussten dies nicht so recht zu deuten. Es sind die jahrtausendealten Erfahrungen, die den Schlüssel für eine beständige Änderung der Perspektive liefern: die unablässige Innenschau, welche gepflegt werden kann und vielleicht das größte Geschenk ist, das jemand erhalten kann,
Die größer werdenden Ängste, Enttäuschungen und die Wut dieser Zeit werden dadurch rettende Sprungbretter in die Freiheit – bittere Medizin, die einmal verdaut, den Blick in die Unendlichkeit gewährt.

Sonntag, 6. September 2020

Memento mori


Memento mori

Memento Mori“ ist die Aufforderung, sich des eigenen Sterbens bewusst zu werden, sich an seine Sterblichkeit zu erinnern. Ursprünglich beruht dieser lateinische Spruch auf einer Bewegung in der mittelalterlichen Kirche. Ausgehend vom Benediktinerkloster Cluny in Burgund, sollte dieser Spruch die Ernsthaftigkeit im klösterlichen Handeln bestärken. Der Tod kommt schneller, als dir lieb sein mag, also nutze die Zeit besser mit Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit im klösterlichen Leben. So stärkten die Benediktinermönche ihre Konzentration auf die geistige Welt und ihre Regeln, da das irdische Leben nun einmal vergänglich ist.
Dieses Thema findet sich natürlich auch an anderen Stellen in der Geschichte, nicht nur im Mittelalter, und es wird die Menschheit immer inspirieren, auch wenn die meisten Menschen ein „Memento mori“ als morbide und vor allem als überflüssig ansehen. Mit dem Ergebnis, dass der Tod verdrängt und das näher rückende Sterben mit Angst belegt sein wird. Der eigene Tod scheint ein verdrängenswertes Ereignis zu sein, mit dem man sich nur befasst, wenn es um die Weitergabe des Mammons geht und das Erbe geregelt werden soll. Man befasst sich lieber mit dem Leben und vertraut darauf, dass es hoffentlich länger als erwartet sein wird.
Dabei sterben wir jede Nacht. Im Tiefschlaf sind wir nicht mehr vorhanden, auch wenn uns der Verstand etwas anderes sagen mag, indem er daran erinnert, dass wir lediglich friedlich im Bett lagen und der anbrechende Tag auf uns wartete. Die Realität ist aber, dass wir in den Stunden des Tiefschlafs als Person nicht stattfinden. Keine Gedanken, denen wir beharrlich folgen, kein Körperempfinden, dass uns unsere Existenz bestätigt, keine Erlebnisse, die uns so wichtig sind. Es ist umso komischer, dass dies die erholsamsten Stunden im 24 Stunden Zyklus eines Tages sind. Niemand ist zudem erfreut darüber, aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, aus dem süßen Nichtsein. Das Leben weist uns also bereits jeden Tag aufs Neue darauf hin, dass unsere Nichtexistenz kein Drama ist, sondern ein äußerst entspannter Zustand.
Betrachten wir es rational, dann ist unser Leben nicht lang – das realisieren wir spätestens in der sogenannten Mitte des Lebens. Unser „food body“ wie Nisargadatta Maharaj unseren Körper nannte, existiert nur eine relativ kurze Zeit und auch nur, solange er gefüttert wird. Er ist das wundersame Produkt von Eizelle und Sperma und wird erhalten durch die Nahrung, die wir in eine Öffnung im Kopf einführen. Die Nahrung wandert durch den Körper, der automatisch die wesentlichen Nahrungsbestandteile nutzt und den Rest durch eine andere Körperöffnung am anderen Körperende wieder ausscheidet. Das ist alles wie ein sehr merkwürdiger Traum und hat nichts mit unserem eigentlichen Wesen zu tun, dennoch stellen wir eine Beziehung zu diesem Körperautomaten her. Diese Beziehung geht so weit – und das ist das eigentliche Dilemma - dass wir uns komplett mit diesem Körper und den Gedanken und Gefühlen, die er uns vermittelt, identifizieren.
Das „Memento mori“ kann eigentlich nur als Chance betrachtet werden, diese Identifikation in Frage zu stellen. Vielleicht wehren wir uns ja so sehr gegen den Tod, weil er einfach nicht wahr ist. Lassen wir unsere Gedanken und Erinnerungen bzw. unsere sogenannten Lebenserfahrungen, die in der Erinnerung stattfinden, weg, dann schaut das immer gleiche Wesen aus unseren Augen, ganz gleich, wie alt der Körper sein mag. Dieses Wesen ist so nah, dass wir es übersehen. Gedanken können es nicht erfassen. Wir werden uns seiner nur bewusst, wenn wir gelernt haben, still zu sein.
Somit ist ein Gedenken an den eigenen Tod in erster Linie eine Motivation bereits während des Lebens zu sterben, was bedeutet, sich, während man noch atmet, seiner eigenen Natur bewusst zu werden. Zu erkennen, dass das niemals geboren wurde und damit niemals sterben kann. Diese Erkenntnis kann in jedem Menschen erwachen, niemand muss daran glauben.
Der Glaube kann ein Werkzeug sein, aber er ist beileibe nicht notwendig, in den meisten Fällen sogar eher hinderlich. Es geht vielmehr darum, beharrlich zu forschen und alles genau zu beobachten, ohne sich durch Geist und Glaube zu beschränken. Wir sind z.B. in der Lage, jede Bewegung und jede Stille in unserem Gedankenleben zu erkennen. Warum? Weil wir kein Gedanke sind, sondern das, worin Gedanken stattfinden können. Dasselbe gilt für unseren Körper: jede Empfindung, jedes Magengrummeln, jedes Jucken und Zwicken können wir aufmerksam verfolgen. Wir existieren vor dem Jucken, während und danach. Es findet in uns statt, der ganze Körper findet in uns statt. Wir können mit geschlossenen Augen alle Geräusche wahrnehmen: Musik, Autos, das Rauschen der Blätter, Vogelgezwitscher... alle Geräusche finden in uns statt und machen uns deutlich, dass wir das Zentrum von allem sind, dass sich alles in unserem Bewusstsein abspielt. Das ist die direkte Erfahrung, die Realität. Die Gedanken wollen uns eine andere Geschichte erzählen, die Story von uns als Körper in der Welt, der etwas wahrnimmt und darin lebt – eine Geschichte, die rein gar nichts mit der Erfahrung zu tun hat, sondern lediglich ein Glaube ist. Das Leben an das wir Glauben ist ein Gedankenkonstrukt, dass leicht widerlegt werden kann, wenn wir denn nur einen Moment innehalten.

Freitag, 21. August 2020

Dankbarkeit als größtes Geschenk

Dankbarkeit als größtes Geschenk

„Dankbarkeit ist Magie“, las ich letztens. Und das stimmt. Von Herzen kommende und damit innerlich wogende Dankbarkeit ist pure, kreative Kraft. Sie kann nicht nur das Leben formen, sondern ist ein regelrechter Turbo für den Prozess der Selbsterkenntnis.
Dankbarkeit ist aber eine Fähigkeit, über die nicht jeder direkt verfügt und die oft neu erlernt werden muss. Nicht jeder weiß, wie man sich dieser Haltung annähern kann. Es kommt erschwerend hinzu, dass ihr Wert nicht erkannt wird in Gesellschaften, die darauf ausgelegt sind, sich auf Probleme und Mangel zu fokussieren und alles Erreichte auf die persönliche Leistungskraft zurückzuführen. Qualitäten wie Segen und Gnade werden dabei ausgeblendet und schlicht negiert. Nein, für Dankbarkeit braucht es ein anderes Weltbild.
Zunächst stellt sich aber die Frage, wem gegenüber wir dankbar sein sollten und vor allem für was? Letztere Frage beantwortet sich leicht: für alles. Es gibt nichts, was einem wirklich Suchendem auf seinem Lebensweg nicht hilfreich ist – auch, wenn es nicht so scheint.
Warum sollte jemand z.B dankbar sein, wenn sein Fahrrad geklaut wird? Sind nicht Trauer, Wut und das Streben nach Konsequenzen für die Zukunft viel naheliegendere Reaktionen? Sicherlich stimmt das. Für jemanden, der wirklich schaut und wissen will, was er ist, sind solche schmerzvollen Erfahrungen aber darüber hinaus wertvolle Hinweise.
Das Unbewegte beobachtet die Gefühle, die erscheinen – ob diese nun als schmerzvoll oder schön interpretiert werden. Dieses dahinter liegende Unbewegte zu erkennen und den Frieden, der dabei gewahr wird, lässt meist schon ohne weiteres Bemühen Dankbarkeit im Menschen aufkommen. Dankbarkeit, die, einmal erkannt, nur noch gepflegt werden muss.
Bevor die Dankbarkeit gegenüber schwierigen oder sogenannten negativen Erlebnissen aufkommen kann, müssen bereits erste Schritte gemacht sein. Erste Schritte im Hinblick auf die Fähigkeit, das äußere und innere Erleben aus der Perspektive des Beobachters zu betrachten.
Dankbarkeit erfordert auch eine Beziehung zum unsichtbaren Leben, zu dem, was das Leben durchströmt und kreiert. Dankbarkeit und Gebet können hier durchaus als Synonyme behandelt werden. Der Dank ist das wirkungsvollste Gebet, da es von Liebe getragen wird.
Hier muss erklärend zugefügt werden, dass auch (und vielleicht sogar besonders) solche Menschen beten, die erkennen, dass hinter allem ein universelles Bewusstsein wirkt.
Dem universellen Bewusstsein können und sollten wir auch eine Form geben, da das universell göttliche viele Aspekte und Prinzipien enthält, die wir besonders lieben und die unser Erkennen im besonderen Maße fördern. Denn es geht nicht nur um reines Erkennen, sondern auch um die Liebe, welche durch Hingabe erblüht. Der Fokus im Gebet auf eine Gottesform, wie z.B. Jesus, Buddha, Ishvara, Krishna oder ein Prinzip wie Liebe, Leere, Energie, kreiert ein Gefäß des Göttlichen, welches wir direkt ansprechen können. Das ist eine direkte Adresse, die einen Dialog der Liebe erlaubt - ein Geben und beschenkt werden.

Wir selbst sind dieses universelle Bewusstsein und können dies in der Meditation und im meditativen Erleben erkennen. Was durch meine Augen schaut ist einfach nur ICH BIN. Und in diesem ICH BIN, der göttlichen Bewegung zur Individualität, beginnt bereits die Ausdehnung in den unsichtbaren, göttlichen Raum, der wir selbst sind. Dieses Erkennen ist bereits die größte Gnade, da sie uns aus den Fesseln des Glaubens an menschliche Begrenzung und Isolation befreit. Das Gebet und die Dankbarkeit für diese Gnade fördert das weitere Erkennen, da die Dankbarkeit die Verbindung zu dem stärkt, was wir im Grunde selbst sind.
Dankbarkeit ist ein liebevoller Fokus auf das Göttliche und dieser Fokus richtet das Leben auf diese Reise in unseren Ursprung aus. Das Leben, welches ein Ausdruck unseres tiefsten Selbst ist, beugt sich der Suche nach der Heimat und ebnet den Weg für das Erkennen. Tief empfundene Dankbarkeit schließt dann nichts mehr aus, sondern bezieht die gesamte Schöpfung ein. Aus dieser Haltung erscheint das Leben selbst wie ein Wunder. Das Schöne wird in allem entdeckt und diese Liebe zum Selbst kann den Weg erleichtern.

Freitag, 7. August 2020

Das Gleichnis der Gleichheit

Das Gleichnis der Gleichheit

Eine auf politische Korrektheit gebürstete Gesellschaft verliert ihre Identität und Freiheit. Wenn nur noch eine Meinung gilt und alle anderen Meinungen mit Sanktionen bestraft werden, ganz gleich, wie gut oder richtig diese Meinung im Moment scheint, dann ist dies gelebter Faschismus.
Dabei ist die Meinungsvielfalt und die Freiheit, eine Meinung ausdrücken zu dürfen, ohne auf ihr zu beharren, ist ein essentieller Fortschritt des Zeitalters der Aufklärung. Es ist die Grundlage jeder wissenschaftlichen Betrachtung, dass eine Annahme nur so lange gültig ist, bis sie widerlegt wurde.
Das gleiche sollte auch für Meinungen gelten. Kann meine Meinung mit Argumenten widerlegt werden, so ist es ein Zeichen von Reife und Aufgeklärtheit, diese Meinung zu revidieren.
Das Beharren auf eine Meinung war zwar immer eine gesellschaftliche Realität. Dieses Fehlverhalten hat aber erst in den letzten Jahrzehnten wieder schleichend und auffallend Einzug in Politik, Wissenschaft und die öffentliche Diskussionskultur gehalten und wurde dadurch zu einem gesellschaftlichen Konsens, der sich in radikalem Verhalten ausdrückt.

Jede faschistische Gesellschaft hat es dabei zunächst "gut gemeint". Zum Schutz des Volkes, zum Wohle der Gesellschaft, für Gott und die Religion. Aktuell, und das können wir tagtäglich verfolgen, sind beispielsweise Fragen um Gender, Rassismus und Wissenschaft von einer gefährlichen Meinungsdiktatur betroffen.
Es werden Kinderbücher umgeschrieben oder aus der Pädagogik verbannt, der Frauensport wird mit neuen Weltrekorden von Transgendern überhäuft, Diskussionen um die Sinnhaftigkeit von Gesichtsmasken und Corona-Tests werden nicht zuende geführt, Massnahmen zum Schutz des Klimas höchst einseitig beleuchtet. 
Es wird lediglich diktiert und über alle Medienkanäle wird die gleiche Meinung verbreitet, obwohl es Diskussionsbedarf gäbe.
Dabei geht es nicht um die Frage, ob eine Massnahme oder Haltung richtig oder falsch ist, sondern, und an dem Punkt müssten wir wieder beginnen, um das Erlauben einer lebendigen Diskussionskultur - vor allem in den Medien, die scheinbar alles kontrollieren.

Die Diskussionskultur hat sich auf ein Stammtischniveau reduziert. Auch scheinen große Teile der Bevölkerung unter großer Diskussionsmüdigkeit zu leiden und verkriechen sich lieber in ihre kleine Privatwelt - alles gut, so lange ich nicht persönlich betroffen bin. Das ist ein Problem in einer satten Gesellschaft, der es nichts ausmacht, eine Meinung vorgekaut zu bekommen und die an eine hehre Moral den Oberen glaubt, welche ihnen selbst schon lange abhanden gekommen ist.

Keine Gesellschaft überlebt ewig und das ist keine Neuigkeit. Zumal unsere Gesellschaftsordnung bereits auf "Exodus" ausgelegt ist. Wie lange geht es wohl gut, wenn ein Prozent mehr als ein Drittel des Vermögens besitzen und dieser Anteil stetig wächst und dieser Prozess durch eine drohende Pleitewelle noch beschleunigt wird?

Das mag jetzt alles sehr kritisch und ernst klingen. So ist es aber gar nicht gemeint.  Denn ein wirkliches Drama ist das alles nicht. Es ist Bestandteil der Geschichte.
Letztlich werden Menschen geboren und sterben wieder, sie gewinnen und verlieren - und das alles in einem Augenblick. Unser Leben ist zu kurz, um es wirklich persönlich zu nehmen. Über die Freiheit unserer Entscheidungen habe ich auch schon geschrieben. Es bleibt eine Illusion.  
Kommen wir deshalb zum Titel dieses Artikels und damit zum eigentlichen Punkt. Im Grunde ist die Gleichmacherei, wie wir sie erleben, eine Perversion einer im Ursprung richtigen Annahme.
Alles ist von der gleichen "was auch immer" durchdrungen.
Richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf ihren eigenen Ursprung im Bewusstsein und bleibt der Blick mit offenen Augen nach Innen gerichtet, dann kann dies leicht erkannt werden. Die Welt, die Objekte darin, der eigene Körper und sogar die Luft sind von dem gleichen Stoff durchdrungen. Nichts in dieser Welt hat tatsächlich eine feste Substanz. Oder anders ausgedrückt: ich kann diese eigentlich virtuelle Welt nur berühren, weil der Körper ebenfalls virtuell ist.
Was wir eigentlich sind, spielt die ganze Zeit nur mit sich selbst. Eigenartige Spiele zugegeben, aber so ist das wohl in einer Welt von mannigfaltiger Dualität.
Diese Sichtweise wird keine Gesellschaft retten. Wer aber immer das Gleiche in allen Dingen erkennt, kann sich über das Drama erheben bzw. erkennen, dass er nie Teil des Dramas war.
Ist der Bogen von der Meinungfreiheit zum Gleichnis des Gleichen arg kostruiert? Sicher doch. Aber es dient dem Erkennen, dass jedes Drama kein wirkliches Drama ist und dass es letztlich nur einen Ausweg gibt. Dem Tod der Person während der Lebenszeit zu erleben und nicht erst mit Angst auf dem Totenbett, wenn der Körper nicht mehr kann.   
Über all dies kann man mal reden - vielleicht hat es eine Wirkung, vielleicht nicht, wer bestimmt das schon?