Mittwoch, 8. Dezember 2021

Die eine Konstante

Die Suche nach Zufriedenheit im Leben treibt natürlicherweise jeden im Leben um. Lebensglück fordert indirekt immer das Finden einer Konstante. Der Mensch sucht nach etwas, das sich im Leben nicht mehr verändert; etwas, das ihn nicht mehr verlässt, wie eine Verkörperung des Glücks, die beständig bleibt.
Verlieren wir das, was uns Glück beschert, führt das automatisch zu Trauer. Es ist in uns angelegt, dass wir unangenehme oder gar lebensbedrohliche Gefühle zu meiden versuchen und uns nach einer Konstante sehnen.

Ein erhofftes Glück mag tausend Dinge und für jeden etwas anderes bedeuten, ganz abhängig von unseren individuellen Vorlieben und Vorstellungen. Das ist eine Frage unserer sozialen Prägung oder anders ausgedrückt: unserer Programmierung.
Glück mag die Liebe durch einen Seelenpartner bedeuten, der uns nie mehr verlässt, die Heimat, die uns keiner raubt oder die Freiheit, immer unterwegs zu sein und großartige Erlebnisse zu haben. Die Hoffnung nach der Erfüllung dieses Glück ist der Grund, warum Menschen heiraten, ein Haus bauen, an ihrer Karriere arbeiten oder immer versuchen auf Reisen zu sein.

Es ist die natürliche Präferenz, das Glück dem Unglück vorzuziehen und, ergo, so zu leben, wie es uns halt glücklich macht. Direkt daran gekoppelt ist die irrige Idee, dass uns etwas oder jemand erst dieses Glück geben oder es in uns erwecken müsste. Das glauben wir, weil wir es nicht besser wissen und da niemand war, der uns etwas anderes beibringen konnte.

Irgendwann im Verlauf des Lebens dämmert es vielleicht, dass es diese durch eine Sache verkörperte Konstante nicht gibt. Im Leben kommt und verschwindet alles, nichts scheint für die Ewigkeit gemacht. Ewigkeit ist ohnehin ein Konzept, das wir mit dem Verstand nicht greifen können, obwohl es eine magische Anziehung auf uns ausübt. Das beginnt schon mit unserem Körper, mit dem wir nur eine bestimmte Zeit gesegnet sind. Aber es ist nicht bloß die vergängliche menschliche Hülle, sondern alles, was uns scheinbar umgibt. Nichts davon ist bleibend oder beständig.

Gehen wir einen Schritt zurück und werfen einen Blick auf unsere Welt, dann müssten wir spätestens seit den Erkenntnissen des letzten Jahrhundert zutiefst erschüttert sein. In der Schule lernen die Kinder bereits, dass die Zeit, welche unser Leben ordnet, abhängig von Geschwindigkeit und Gravitation ist. So ist messbar, dass die Zeit im hohen Gebirge minimal schneller verläuft als auf dem Level des Meeresspiegels; auf Planeten mit großer Gravitation entsprechend schneller und bei Lichtgeschwindigkeit steht sie für den Reisenden theoretisch förmlich still. Auf einer subjektiven Ebene ist Zeit ebenfalls relativ, da verschiedene Ereignisse auf uns wirken und das Zeitempfinden dehnen oder beschleunigen. Und die Zeit ist nur eine der Größen, die wir in unserem Leben fälschlicherweise als eine Konstante anerkennen.

Die Wahrheit kann unangenehm scheinen; die Wahrheit, dass unsere Lebenswelt nicht den angenommenen Gesetzmäßigkeiten und Konstanten unterliegt, wie wir vielleicht glauben wollen. Leben, Zeit, Raum, geliebte Menschen, Besitz und Macht sind bestenfalls geliehen und wir wissen nicht einmal, für wie lange.

Wenn uns etwas Beständiges glücklich machen soll, dann muss es etwas sein, das immer da ist und bereits immer da war. Wie sollte es sonst eine Konstante sein?

Es gibt nur einen Weg, diese Konstante zu finden. Dafür müssen wir ganz genau schauen und an uns selbst erforschen, was dies sein kann. Es kann kein Ding bzw. ein Objekt sein, da alle Objekte im Leben auftauchen und irgendwann wieder verschwinden. Diese ganze Subjekt-Objekt Beziehung ist nicht zuletzt der Grund für das duale Dilemma, welches uns immer zwischen Glück und Leid schwimmen lässt. Das mag menschlich genannt werden, es ist aber sicherlich nicht der sprichwörtlichen Weisheit letzter Schluss.

Die einzige Konstante, die wir finden können, ist das, was bereits unser gesamtes Leben durch unsere Augen blickt und über die Sinne das Leben erfährt. Es ist dieses (scheinbar) innere Wesen, das sich nie verändert hat. Prüft man es genau, dann war es mindestens das gesamte Leben da; ob mit 5, 50 oder 75 Jahren - es war immer gleich. Es ist das, was alle Umstände unberührt akzeptiert, ob nachts, im wilden Traum oder tags, im drögen Alltag. Es fühlt sich immer gleich friedlich, still und beständig an.  

Da diese innere Natur nicht immer für uns greifbar ist, können wir nach dem suchen, was sich darin finden lässt, wie z.B. Frieden oder Liebe. Die einfache Praxis, die wir leben und steuern können, scheint einfach und schwierig zugleich: die Aufmerksamkeit auf einer dieser Qualitäten ruhen zu lassen, und dabei nicht abzudriften, um irgendwelchen Gedanken zu folgen. Irgendwo lässt sich Frieden in uns finden, vielleicht ist das Empfinden dafür zunächst klein; bleibt die Aufmerksamkeit auf dieser Qualität wird auch der Frieden dominanter.

Dabei sollte an nichts festgehalten werden. Den Geist mehr und mehr zu leeren und die Pforte zu durchschreiten, welche durch die tägliche Schulung der Aufmerksamkeit geöffnet wird. Und schon werden wir auf einen mysteriösen Weg geführt.

Ein Ergebnis der täglichen Praxis, des dauerhaften Verweilens in unserer eigentlichen Natur wird dann offenbar. Es fällt irgendwann auf, dass keine Konstante mehr benötigt wird, da derjenige, welchen es nach einer Konstante verlangt, wegfällt. Gleichzeitig ist da die Realisation, dass das, was übrig bleibt und was wir im Kern sind, selbst diese ewige Konstante ist.

An dem Punkt setzen tiefe Erleichterung und Glück ein. Wir waren immer das, wonach wir suchten. Es liegt alles in uns. Das hat und wird uns niemals verlassen, wir sind es selbst!

 

Sonntag, 3. Oktober 2021

Behüter des Lebens

Ein Samen wurde vom Sturm getragen, weit weg vom Ort, wo er geboren war.

In ein fremdes Land mit fremden Boden und fremden Gewächsen.

Anders war es dort. Unwirtliche, harte Erde und nur wenig Wasser.

Konnte der Samen hier überleben? Dürre, karge Pflanzen, mehr schlafend als wach, waren hier zu Hause. 

Steinig, trostlos und verlassen wirkte das Land. Der wenige Regen reichte kaum für die Kraft zum Keimen.

Nur die Gnade des Willens zum Leben ließ kleine Wurzeln wachsen und winzige Blätter sprießen.

Oh Behüter aller Pflanzen, bitte erbarme Dich meiner! Wie soll ich hier für Dich gedeihen, um Dich zu erfreuen mit meinen bunten Blüten und meinem süßen Duft?“

Lange blieb das Pflänzchen scheinbar ungehört und kauerte in der trockenen, aufgerissen Erde. Das bisschen Leben in ihm wurde dennoch bewahrt von einer schützenden Kraft.

Manches muss gehen und anderes soll bleiben. Wir wissen nicht warum, aber so scheint das Spiel des Lebens.

Müde und klein stand das Pflänzchen in der trostlosen Fremde, umgeben von nichts, was es kannte aber durchdrungen von einer ungeahnten Liebe zum Leben.

Da war kein Plan in ihm und keine Aussicht. Nur die Gewissheit, dass es hier sein und überleben muss.

Lange harrte es so aus. Die Lebenskraft schwand mit der Zeit fast völlig. Das zarte Pflänzchen war längst bereit zu vergehen und Platz zu machen für andere, die folgen werden.

Dann kam der Regen, plötzlich und stark. Bäche bildeten sich und kleine Flüsse. Tiere erschienen, um zu trinken. Das Leben wurde mit einem Mal sichtbar.

Überall wuchsen kleine Blumen., wie durch ein Wunder. Kräftige Pflanzen mit saftigen Blättern sprossen aus dem kargen Boden und auch unser kleines Pflänzchen gedieh und wuchs schnell heran.

Mit einem Mal war überall Schönheit und das erstarkte Pflänzchen wurde von Dankbarkeit und Rührung erfasst.

Du hast mich nicht vergessen! Lass mich für Dich schön sein und Dir damit danken. Lass mich hunderte Samen tragen und in Deinem Namen das Land fruchtbar machen!“

So sollte es geschehen.

Generationen seiner Nachfahren veränderten das Land, machten es fruchtbar und der Schönheit des Himmels gleich.

Aus dem kraftlosen Pflänzchen mit nichts als Gnade im kleinen Körper entstand ein prächtiges Stück Land, das jeden, der es besuchen durfte, mit dem Wunder des Leben erfreute.



Samstag, 25. September 2021

Korruption

Vielleicht liegt es ja daran, dass ich älter werde und in der Lage bin, mich zu erinnern. Vielleicht erinnere ich mich auch falsch und vielleicht war es vor ein paar Jahrzehnten nicht besser. Aber korruptes Verhalten, so scheint es, ist heute normaler und allgegenwärtiger geworden. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Lobbyismus in der Politik je so offen zur Schau gestellt wurde. Der reibungslose Wechsel zwischen politischen und wirtschaftlichen Ämtern erfährt lediglich seichte, folgenlose Kritik; daraus resultierende geschäftliche Beziehungen und der Fluss von Steuergeldern wird zwar gelegentlich öffentlich thematisiert, aber Rücktritte von Politikern sind dennoch selten geworden.
Vielleicht gibt es auch weniger Widerstand in einer Gesellschaft, wenn die Offenheit für Diskussionen und die Freude an verschiedenen Ansichten schwindet. In alten Talkshows aus den 60er und 70er Jahren kann man noch die einst lebendige und offene Diskussionskultur erleben – unaufgeregte Gespräche aus verschiedenen Lagern, Menschen, die im undurchdringlichen Nebel aus Zigarettenrauch einander sogar ausreden lassen. Dieses Echo aus der Vergangenheit wirkt heute fast unwirklich und befremdlich.
Ist dieser Verfall der Diskussionskultur nicht auch bereits ein Anzeichen dafür, dass eine Gesellschaft den Übergang von einer Demokratie in eine andere Verfassungsform besiegelt hat - so wie von antiken Philosophen wie Platon beschrieben? Nach Platon wäre die nächste Phase übrigens die Tyrannei, was ungemütlich aber nicht unbedingt abwegig erscheint. Vielleicht sollten wir präventiv alle wieder mit dem Rauchen anfangen...
Der Sinn für die Werte einer Gesellschaft müsste vermutlich in einem wesentlichen Teil selbiger lebendig gehalten werden; das Gefühl einer gesellschaftlichen Einheit (ganz gleich, wie groß diese sein mag) durch mediale Bemühungen allen ans Herz gelegt werden. Korrupte Medien und das Geschäft mit Verunsicherung und Ängsten, mit Meinungsbildung und subjektiver Berichterstattung tragen doch offensichtlich zu dieser Entwicklung bei.
Soziologische Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen müssten ernst genommen und entsprechende Gegenmaßnahmen politisch eingeleitet werden. Und wo ich es schreibe merke ich, wie
unsinnig und utopisch eine solche Forderung im momentanen gesellschaftlichen Kontext klingt.

Aber was passiert zum Beispiel, wenn zu viele Personen zur gleichen Zeit damit befasst sind, nur noch ihre eigene Position und ihren Status zu verbessern?
Es war vermutlich schon immer so, dass die Korruption, d.h. die Bestechlichkeit und damit verbundene Verführbarkeit, alle Ebenen des menschlichen Lebens durchzieht. Auch eine Gesellschaft muss ab einem bestimmten Punkt kippen, so wie ein Teich, der zu wenig Sauerstoff bekommt und in seinem eigenen Saft aus Bakterien und Abfallstoffen zu modern beginnt.

Gleichgewicht, Fokus und Achtsamkeit scheinen nicht nur für den Einzelnen relevant, sondern sind Werkzeuge, die eine Bedeutung für die gesamte gesellschaftliche Stabilität haben. Bei dem Einzelnen geht viel schief, wenn weder Gesellschaft noch Familie diese Werkzeuge vermitteln können.

Wie bereits oben beschrieben werde ich das Gefühl nicht los, dass die Hemmschwelle gesunken ist, korrupt zu denken und zu handeln.

Korruption am Herzen

Sicherlich, es gab schon immer diese Menschen, die scheinbar ohne Rückgrat geboren wurden. Rückgrat im Sinne von Treue und Integrität. Dabei geht es nicht darum, ob jemand „seinen“ Weg geht und für seine eigenen Wünsche und Vorstellungen eintritt. Diese können sich ändern und analog zu den Ereignissen im Leben in Fluktuation sein.
Für mich beginnt die eigentliche Korruption viel früher: weniger in der Welt der Ideen und Vorstellungen, sondern im Herzen. Herz im Sinne von Treue und Liebe gegenüber unserem Wesenskern, unserer Seele. Wir haben alle diesen Kern von unendlichem Frieden in uns, der in Freundlichkeit und Liebe strahlen kann, der frei ist von Angst und Schuld.

Der Verrat am Herzen lässt sich nicht so leicht rational vom Tisch wischen. Korruption gegenüber unserem Herzen bedeutet, Angst und Gier Raum zu geben. Diese negativsten der Emotionen richten dabei Schaden an uns und anderen an, aber das damit verbundene Abwenden und Vergessen von unserem Herzen wiegt ungleich schwerer. Es ist eine Entscheidung gegen die Freiheit und für die volle Wirkungskraft eines entfremdeten und dualistischen Lebens.

Es geht nicht um den persönlichen Vorteil. Auch die Treue gegenüber dem Herzen lässt den Schmerz nicht vermeiden. Wir bleiben Teil dieser Welt, selbst wenn wir unseren Wesenskern voll realisieren.
Auch ohne schlechte Absichten werden wir manchmal Menschen verlassen oder werden von anderen verstoßen; unser Verhalten wird nicht immer auf Verständnis stoßen; wir können als schlechte Person verurteilt werden, weil wir nicht den Erwartungen entsprechen, nicht als würdig erachtet oder nicht verstanden werden. Der Schmerz bleibt immer ein Begleiter, unabhängig davon, ob wir korrupt oder im Einklang mit uns selbst handeln.

Ein Lebensweg mag dabei vorbildlich und ganz linear oder aber völlig chaotisch in verschiedene Richtungen verlaufen. Das sagt nichts darüber aus, ob jemand bestechlich ist oder nicht. Wir können nichts für unsere Sozialisation und die Eigenschaften, mit denen wir ausgestattet wurden. Das einzige, was wir vermögen, ist unsere Aufmerksamkeit im Augenblick zu beherrschen. Das hat eine Wirkung auf unser gesamtes Wesen und die Menschen um uns.

Wesentliche Werkzeuge

Der Fokus im Leben ist entscheidend. Verfolgen wir Ziele, wie Erfolg im Beruf, Ansehen und Einfluss... und können wir nicht beizeiten von diesen Zielen ablassen, dann öffnen wir die Pforten ganz weit für korrupte Gedanken und Taten. Liegt die Aufmerksamkeit auf persönlichen Interessen und den damit verbundenen Gedanken werden wir letztlich korrupt handeln und dieses Handeln rechtfertigen, wenn auch mit einem bitteren Beigeschmack, der sich auf Dauer nicht vom kurzen Rausch des persönlichen Vorteils versüßen lässt.

Moralische Konzepte mögen uns nur bedingt vor schlechten Taten bewahren. Die auf Moral begründete Bewertung der Handlung hängt von Herkunft und den verinnerlichten gesellschaftlichen Werten ab – und diese sind oft fragwürdig und nicht wahrhaftig genug, was das Instrument der moralischen Vorstellungen gefährlich und im Grunde nutzlos macht. Moral ist wie das juristische Recht nur eine Richtschnur für diejenigen, die sich nicht anders zu helfen wissen.

Entsteht Korruption nicht immer aus der Angst, etwas nicht zu erreichen, zu kurz zu kommen, nicht geliebt zu werden, verloren zu gehen oder gar zu sterben? Die Angst vor dem Tod macht uns sicherlich korrupt. Über wie viele Leichen würden Menschen gehen, um ihre eigene Lebenszeit oder die ihrer geliebten Menschen zu verlängern?

Das erlernte Empfinden, ein kleiner Fisch in einem sehr großen Teich zu sein, wird uns alle Vorteile nutzen lassen, um ein etwas größerer Fisch zu werden. Die Realisation, als ewiges Wesen nicht sterben zu können, entspannt diese Ängste, auch wenn der Wille zum Leben ungebrochen bleibt. Der Wille zum Leben kann sich dann in der Liebe zur Wahrheit und gegenüber allen Dingen ausleben.

Dieser tiefe Respekt gegenüber allen Dingen, der nur aus unpersönlicher Liebe erwachsen kann, ist wesentlich im Zusammenleben mit anderen Menschen. Die politische Lösung zur langfristigen Steuerung einer Gesellschaft bleibt vermutlich eine Utopie, solange der Mensch über seine niederen korrupten Antriebe nicht hinauswachsen kann.
Die Motive korrupter Menschen sind meist offensichtlich und nachvollziehbar. Wer will sie dafür verurteilen? Bleibt unsere Aufmerksamkeit im Wesentlichen, wo sie hingehört, stellt sich die Frage nach dem Urteil auch gar nicht. Die Welt zeigt dann von selbst ihre unwirkliche Natur - ihre wahre Beschaffenheit und die zu entdeckende Schönheit in Allem wiegt vielfach schwerer.

Alle Bemühungen, unsere Lebenswelt besser zu gestalten, beginnen immer beim Einzelnen und seinem wachsamen Blick auf alles, was im Moment geschieht. Korruption entsteht aus der Vorstellung, in dieser Welt verloren zu sein. Nur durch rechtes Sehen können wir dem Teufelskreis dieser durch Angst motivierten, gesellschaftszersetzenden Handlung entkommen.

Samstag, 21. August 2021

Wenn der Gedanke 2x klingelt

Wie viele Gedanken hat der normale Mensch so am Tag? Hunderte... oder Tausend?
Nach kurzer Recherche im Netz findet man da Größenordnungen von 35.000-70.000 Gedanken am Tag. Nimmt man davon einen ungefähren Durchschnitt kommt man auf 18-20 Millionen Gedanken im Jahr. Ich denke, das könnte so in etwa stimmen. Klingt jedenfalls nach viel Arbeit im Kopf...

Gedankenstränge

Dabei müsste eigentlich unterschieden werden zwischen zwei Gedankensträngen, die man als aufmerksamer Beobachter leicht erkennen kann.
Der eine Strang an Gedanken ist sehr allgemein, unbewertet und nahezu unbemerkt. Darunter fallen Gedanken, wie: „da ist ein Baum“, „ein Auto fährt vorbei“, etc. Es sind wertfreie Gedanken, die keinen persönlichen Bezug haben und die auch keine Probleme schaffen.
Dann ist da noch der zweite Strang an Gedanken, der den Kern unseres Egos bildet, da er die ersten Gedanken persönlich einfärbt. Aus dem Gedanken: „jetzt einen Salat machen“ wird „ich habe Sorge, der Salat schmeckt meinen Gästen nicht“. Hier werden die Gedanken mit Erinnerungen und Erwartungen verknüpft, welche wiederum Emotionen triggern.

Ohne diesen zweiten Strang an Gedanken gäbe es keine wirklichen Probleme. Wir würden uns als räumliche undefinierte Wesen wahrnehmen, die lediglich Beobachter dieser Welt sind. Das mag nicht für jeden attraktiv klingen. Es ist aber ein ungemein schöner und befreiter Zustand, der sich sehr natürlich anfühlt.

Die meisten Menschen können erfahrungsgemäß nicht aufhören zu denken, auch nicht, wenn sie dazu aufgefordert werden oder es aus eigener Kraft versuchen. Die Aufmerksamkeit hört unaufhörlich dem Strom der Gedanken zu und versinkt regelrecht darin.
Das bedeutet, unser einziges Kapital über welches wir tatsächlich verfügen, nämlich unsere Aufmerksamkeit, versinkt im steten Fluss meist überflüssiger, alles kommentierender Gedanken.

Die Grenze zum Irrsinn

Noch erschreckender ist vielleicht die Aussage, die ich in einem Artikel auf Zeit online fand, dass lediglich 15 Prozent der Gedanken als positiv bewertet werden können. Andere Quellen sprechen sogar von nur 3 Prozent positiven Gedanken. Immer soll im Verhältnis der Anteil negativer Gedanken deutlich höher sein. Die Zahlen mögen vielleicht innerhalb der Beobachtungen drastisch abweichen. Es geht an dieser Stelle nicht um die Analyse einzelner Studien, sondern um die nachvollziehbare Aussage, dass wir viel und oft zu schlecht denken. Das bedeutet, es wäre besser, könnten wir den inneren Kommentator besser im Zaum halten.

Ein überaktives Gedankenleben geht so weit, dass Menschen endlose innere Diskussionen und sogar imaginäre Streitgespräche führen und irgendwann kaum noch unterscheiden können zwischen den tatsächlich stattgefundenen und den eingebildeten Gesprächen. Wer in dem Zusammenhang schon einmal Ziel höchst seltsamer und abstruser Anschuldigungen war, etwas Bestimmtes gesagt oder getan zu haben, weiß vielleicht worüber ich hier schreibe.

Sicherlich liegt ein Problem darin, dass sich das Gedankenleben mit Glaubenssätzen belädt. Alleine der Glaubenssatz, dass die beobachteten Gedanken wichtig oder richtig sind, ist absurd.
Der Glaubenssatz an sich besteht dabei aus sich selbst immer wieder bestätigenden Gedanken. Etwas wird als Tatsache akzeptiert und unsere Beziehung zur Lebenswelt gestaltet sich um diese fixe Vorstellung. Glaubenssätze, wie: „Person xy ist böse“ oder „ich bin wertlos“, werden und müssen sich immer wieder selbst bestätigen. Ein unbestätigter Glaubenssatz würde die Integrität desselben in Frage stellen und damit auch die Integrität des Egos. Das Ego ist lieber wertlos und suizidgefährdet als nicht existent.

Das Ego, eigentlich nur bestehend aus Gedanken und Glaubenssätzen, erschafft die scheinbare Integrität zwischen körperlichen und geistigen Phänomenen und kreiert damit eine Person, die es in der reinen Erfahrung nicht gibt. Zudem stellt es eine Abgrenzung zwischen Subjekt und Objekt her. Dieses Konstrukt aus Erinnerungen und fixen Ideen wird sich immer selbst schützen.

Gruppenwirkung

Ein stark verbreitetes, negativ gefärbtes Gedankenleben ist gesellschaftlich betrachtet durchaus ein Desaster. Es bedeutet, wir befruchten uns gegenseitig mit unangenehmen Schwingungen, welche wiederum zu negativen Emotionen und einer tendenziell negativen Haltung führen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es einfacher ist, eine Gruppe von Menschen mit einer negativen Stimmung anzustecken als das Gegenteil zu tun und die Gruppe auf ein hoffnungsvolles oder vielleicht sogar glückliches Niveau anzuheben. Es reicht bereits ein richtig mies gelaunter Zeitgenosse, um eine Gruppe von Mitmenschen mit schlechter Stimmung anzustecken.
Ich sage immer, man sollte äußerst umsichtig sein, mit wem man so seine Zeit verbringt.

Hut ab vor Künstlern, die alleine einen ganzen Saal zum Lachen bringen können. Das ist kein leichtes Unterfangen, wird aber zumindest durch den Fokus und die gute Absicht der (hoffentlich) meisten Zuschauer erleichtert, eine schöne Zeit verleben zu wollen. Ohne gute Absicht hat es der Künstler nicht nur schwer, sondern seine Bemühungen bleiben garantiert wirkungslos.

Wie immer, können wir nur bei uns selbst beginnen, etwas an unserem inneren Fokus zu ändern.

Übung der Gedankenkontrolle vs. professionellem Nichtstun

Die Idee liegt nah, das Gedankenleben aktiv kontrollieren zu wollen, um über positive Gedanken direkt die Lebensqualität zu erhöhen. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass negative Gedanken nicht gut für uns sind und das Leben auf allen Ebenen verschlechtern.

Entsprechend möchte ich den Versuch der Gedankenkontrolle auch gar nicht als ein schlechtes Vorhaben verurteilen. Es gibt Übungen, die durchaus einen guten Effekt haben. Ich habe da in der Vergangenheit ein paar Praktiken getestet.

Wie zum Beispiel das positive Denken im Intervall: Über einen Zeitraum von 2 Stunden muss man in jeder einzelnen Minute für 10 Sekunden intensiv an etwas Positives denken.
Klar, es ist ziemlich herausfordernd, das 2 Stunden durchzuhalten. Die Übung funktioniert am besten mit einem Intervalltimer... und viel Ausdauer. Dabei wird trainiert, die Aufmerksamkeit auf positive, aufbauende Gedanken zu legen. Es ist anfangs nicht so leicht, jede Minute eine positive Vorstellung ins Bewusstsein zu bringen – nach 2 Stunden wird es aber zu einer Art Gewohnheit. Es lohnt sich, dies wenigstens einmal auszuprobieren.

Das ist eine spannende Übung, die sich aber in meiner täglichen Übungspraxis nicht durchsetzen konnte, da mein Bestreben immer darin lag, meine innere Natur kennenzulernen und dem näher zu kommen, was für diese ganze wunderbare Kreation verantwortlich ist. Und dafür gibt es direktere Wege, welche beiläufig auch die Beziehung zu aufkommenden Gedanken drastisch verändern. Die Wege sind aber für jeden verschieden, deshalb wollte ich andere Möglichkeiten wenigstens kurz anreißen.

In spirituellen Traditionen begegnet man immer wieder der Aussage, dass die Freiheit von Gedanken ein wichtiger Faktor für die spirituelle Entwicklung ist... nun, eigentlich muss die Aussage präzisiert werden. Es geht eigentlich nur um die Freiheit vom oben angesprochenen zweiten Gedankenstrang.

Das ruhige, absichtslose Sitzen und reine Beobachten hat sich für mich als Offenbarung herausgestellt. Ja, ja, es sieht aus wie Nichtstun aber es ist viel erfüllender als jede Form des Nichtstuns, von der ich zuvor glaubte, dass es Nichtstun sei. Gutes Nichtstun ist eine Kunstform, die meistens viel Zeit erfordert, damit man es zur Meisterschaft und ultimativen Befreiung bringen kann. Sie hat auch rein gar nichts mit Untätigkeit oder Faulheit zu tun. Im Gegenteil, es erfordert einen enormen Fokus, um die Art der Wahrnehmung zu ändern, mit der wir aufgewachsen sind.

Dazu müssen wir lernen, unsere Aufmerksamkeit zu bemerken, was erst einmal widersprüchlich klingt. Reines Beobachten erlaubt es, noch vor dem inneren Kommentator alles zu bemerken. Wir erkennen z.B. den Gedanken und die Bewegung im Geiste, diesen Gedanken interpretieren und färben zu wollen. Wir erkennen die damit verbundenen Gefühle, die körperlichen Empfindungen. All dies wird durch reines Beobachtung zu einem einzigen zusammengehörigen Phänomen im Raum.
Das Beobachten ist etwas, das wir automatisch immer tun. Wir müssen uns nun aber mit dem identifizieren, was die Gedanken und alle anderen Erscheinungen bemerkt. Das bedeutet nichts zu tun und sich innerlich weit zurückzulehnen und zu entspannen.
Es geht auch nicht darum, den Geist oder die Gefühle zu beruhigen, sondern das zu spüren, was der Kern unserer Aufmerksamkeit ist. Immer wieder diesen Kern des Ichs zu berühren, der vor jeder Erscheinung bereits da ist.

Aus der Tiefe an die Oberfläche blicken

Die Aufmerksamkeit selbst entspringt nicht dem Geist, sondern kommt aus einer tieferen Ebene des Selbst. Das Bewusstsein wird für die Forschung immer ein Rätsel bleiben, da es nicht ergründbar ist. In der Praxis lernt man, es nicht zu verstehen, sondern es einfach zu sein. Dabei stößt man auf Phänomene des tieferen Bewusstseins (andere würden „höher“ sagen), welches geprägt ist von Qualitäten wie Frieden, Liebe und Ausdehnung. Diese Phänomene sind ein erster guter Halt für das aufmerksame Beobachten. Wir können die Aufmerksamkeit darin fixieren und diese schönen Qualitäten als unsere wahre Natur akzeptieren.

Es gibt aber den Punkt, an welchem wir auch diese Phänomene loslassen und tiefer gleiten. In ein stilles Nichts, in welchem die Kreation verschwindet. Bevor es aber dazu kommt werden wir erkennen, wie sich die Art, Gedanken wahrzunehmen geändert hat. Sie kommen jetzt langsamer, gehören nicht mehr wirklich zu uns, sondern sind ein allgemeines Phänomen. Wir sehen, dass es nicht unsere Gedanken sind und sie sich im Zusammensein mit anderen Menschen verändern oder fremd werden – wir teilen alle einen Gedankenraum, der nun sichtbar wird.

Es ist ein Raum, der nicht mehr unsere Identität ist, obwohl er noch unsere alltäglichen Handlungen bestimmt. Wir sehen, wie Körper und Geist reagieren aber diese Reaktionen über die Zeit schwächer werden, da sie von der Aufmerksamkeit nicht mehr bestärkt werden. Wir können befreiter unserer Arbeit nachgehen, ohne z.B. Gedanken über das Urteil anderer verfolgen zu müssen.

Aber welchen Weg auch immer wir gehen, um das wild wuchernde Gedankenleben in den Griff zu bekommen. Irgendwas sollte getan werden und das sollte genauso selbstverständlich sein, wie die regelmäßige Körperpflege. Im Grunde stellt es die Lösung all unserer Probleme dar, oder?



 

Mittwoch, 21. Juli 2021

Ein Meter Unterschied

Nun rauschte zuletzt die Flutkatastrophe an uns vorbei. Knapp war es für die einen, während andere kein Glück hatten. Sie verloren Hab und Gut, Mensch und Tier.

Den Unterschied machen manchmal nur ein paar Meter, wenige Sekunden, eine unbedachte Reaktion. Und einmal mehr wird deutlich: der Übergang zwischen Qual und Zufriedenheit hat die Dimension eines hauchdünnen Tuchs.

Das Schicksal erscheint beliebig. Tausenden Familien lastet das Weiterleben ganz plötzlich schwer auf den Schultern und viele sehen sich unlösbaren Aufgaben ausgesetzt. Schwierig, fast aussichtslos und über eine lange Zeit.

Eine Katastrophe ist nicht nur direkt und unmittelbar. Sie kann lange wirken und lange quälen. Immer scheitern unter den Opfern auch Menschen ganz unbeachtet und allein.

Wer ist sicher vor den launigen Wogen des Lebens? Wer nicht sieht, dass wir uns weder vor Leid schützen, noch das Glück greifen können, muss blind sein. Wie oft war es schon ungemütlich knapp, dass uns ein Auto verfehlte, wir eben noch so das Gleichgewicht halten oder in letzter Sekunde ausweichen konnten? Es ist dasselbe mit einer Sturzflut, die ein paar Strassen weiter an uns vorbeirauscht.
Wir erleben "knapp" öfters im Leben und noch öfter kriegen wir nicht einmal mit, wo eine Gefahr lauerte und wir einfach nur Glück hatten.
Ist es verwunderlich, dass in manchen Menschen irgendwann der Wunsch nach Stille und Frieden unwiderstehlich wird?
Wer erkennen darf, dass in uns etwas Beständiges existiert, wie der Mond oder die Sonne, kommt diesem Wunsch nach Frieden näher.
Die Wege vorbestimmt, keine Gedanken um gestern und morgen, kein Anfang, kein Ende, keine Geburt und kein Tod. Darin vermag zu ruhen, wer davon erfährt und wen es unbedingt auf diesen Weg zieht.
Mit einem Bein in der Ewigkeit stehend als unbeweglicher Pfeiler inmitten der Wogen des Lebens, die unbestimmbar scheinen.



Montag, 19. Juli 2021

Die Liebeswurst aus San Fernando


Die Liebeswurst aus San Fernando

War ganz vernarrt in Marlon Brando

Nicht den Dünnen, den späteren Dicken

Erträumte sie nachts, sie zu beglücken


Fast jede Nacht musste er sie verführ´n

Mit ihr tanzen, reden, sie überall berühr´n


Brando, bereits tot, wusste davon recht wenig

Das Schicksal war manchmal durchaus gnädig


Bei einem sind wir uns sicher:

Die Liebeswurst aus San Fernando

Hätte gestalkt ihren Marlon Brando


So war es gut für beide Seelen

Dass sie sich nicht trafen

Denn sie wird ihm nicht fehlen

Und er muss sie nicht strafen


Die Moral von der Geschichte und die Weisheit zum Schluss 

Es kann schön sein, dass man sich niemals begegnen muss.



Samstag, 3. Juli 2021

Vertrauen ist gut – aber für was?

Beim Versuch den Begriff des Vertrauens irgendwie einzuordnen, stößt man automatisch auf Worte, wie Kontrolle, Naivität, Sorglosigkeit, wichtig, blind, dumm, leicht, einfach, kindlich... Sie haben in ihrer Bedeutung eine enge Verwandtschaft zum Vertrauensbegriff und wir nutzen sie im individuellen Rahmen unserer eigenen Erfahrungen. An den verschiedenen Ladungen dieser Begriffe, ob eher positiv oder negativ, befangen oder frei, lassen sich einige Freiheitsgrade ablesen, welche wir einem Wort wie Vertrauen zumessen.

Vertrauen kreiert den Lebenslauf

Vertrauen entwickelt sich im Laufe eines Lebens zu einem immer komplexeren und beladenerem Begriff, der, bezogen auf die verschiedenen Ebenen gesellschaftlichen Lebens, große Auswirkungen hat.

Die Fähigkeit (oder der Mangel) zu vertrauen beherrscht große Teile unseres Lebens und kreiert unsere Lebensgeschichte.
Vertraue ich in das Gute im Menschen? Vertraue ich meinem Nachbarn, meinem Partner, meinem Chef...? Vertraue ich in die Menschheit, die Regierung oder in eine gute Kraft, welche das Leben bestimmt? Oder misstraue ich dem Glück, erahne ich den Schrecken bereits hinter der nächsten Ecke und setze ich ein tiefes Grundvertrauen mit Dummheit gleich?
Es kristallisieren sich anhand unserer eigenen Erfahrungen und verinnerlichten Glaubenssätze Vertrauensbeziehungen heraus, die wir mit Personen, Institutionen oder auch grundlegenderen Aspekten des Lebens pflegen. Darunter auch Beziehungen zu Gott, dem Universum als belebte oder unbelebte Naturgewalt oder dem Mysterium der Liebe. Unsere mehr oder weniger vertrauensvolle Haltung gegenüber dem Leben bestimmt, wie wir dem Leben entgegen treten und wie es sich für uns gestalten kann.

Erlerntes Vertrauen

Aber woran bemessen wir, ob wir in etwas oder jemandem Vertrauen haben können? Ist es intuitiv, erlernt, rational oder alles zusammen? Und von welcher Ebene sollte das Vertrauen oder das Misstrauen idealerweise kommen?

Jeder Mensch findet im Laufe seines Lebens mehr oder weniger bewusste Antworten darauf. Selten entstehen dabei wunderbare Beziehungen zur gesamten Schöpfung. Das Gros der Menschen scheitert in seinem Vertrauen bereits an so etwas banalem wie der Hautfarbe und an vom Hörensagen erlernten Vorurteilen. Im letzten Jahr wurde es sehr deutlich, wie leicht der Mensch in seinem Vertrauen beeinflusst werden kann und wie fremdbestimmt er dadurch wird. Fremdbestimmt durch Ignoranz, Arroganz und dem Anspruch auf eine Meinungshoheit.
Wir werden bereits von Kindesbeinen an darin geschult, vorsichtig zu sein und auch vorsichtig mit unserem Vertrauen umzugehen.

Es erscheint überlebenswichtig, an den richtigen Stellen zu vertrauen und auch zu misstrauen, was nie rational aber höchst persönlich und subjektiv entschieden wird.

Aber wie tief kann dann noch das Vertrauen in das Leben sein?

Die leere Worthülse

Verlassen wir kurz die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von gesundem Vertrauen bzw. gebotener Vorsicht. Was geschieht, wenn wir ein paar Schritte zurücktreten, den rein menschlichen Erfahrungsraum verlassen und die Welt unpersönlich und frei von geistigen Einschränkungen, wie Vorstellungen und Empfindlichkeiten betrachten?

Spielt das Vertrauen mit seinen Freiheitsgraden und seiner ganzen Vielfältigkeit dann noch eine Rolle?
Aus der Perspektive eines freien Beobachters wird die Ursächlichkeit des Problems offenbart. Vertrauen ist nur ein Wort. Verlassen wir die Ebene der Worte, spielen die Definitionen und Beurteilungen keine Rolle mehr – aus dem mit Bedeutung geladenem Wort wird eine leere Hülse.
In der Freiheit, wo die Stille und unser wahres Wesen beginnen, schwinden die Bestandteile des Bewusstseins, mit denen wir uns als Person identifizieren. Jeder Unterschied schwindet in der brutalen Schönheit und der Perfektion, die allem zugrunde liegt.
Setzen wir die winzigen Bestandteile zusammen: Gedanken und Erinnerungen, Empfindungen, Sinneseindrücke, Assoziationen...kreiert das Bewusstsein mühevoll eine Person, die immer wieder beginnen wird, ein Problem mit sich und der Welt zu haben. Aus der Perspektive unserer wahren Natur ist das ein echtes Meisterstück der Selbstverleugnung. Nur in dem kleinen Rahmen dieser Kreation kann ein Wort wie Vertrauen überhaupt eine Bedeutung haben.

Aus neuen Krügen gefüllt

Die wiederholte Erfahrung dieser grenzenlosen Erleichterung, welche wir durch rechtes Meditieren oder glückliche Fügung bzw. Gnade erfahren dürfen, formt auf natürlichem Wege die winzigen Bestandteile, die unsere menschliche Identifikation ausmachen. „Winzig“ deshalb, weil in der Erfahrbarkeit der Stille, diese Bestandteile in ein Nichts schwinden. Dennoch zieht es die Aufmerksamkeit immer wieder in die menschliche Form, da es scheinbar unsere Bestimmung ist, in dieser zu leben und zu erleben.

Idealerweise hat man die Aufmerksamkeit in „beiden“ Welten, die im Grund natürlich nur eine ist. Da es keinen Begriff des Vertrauens braucht, um Das zu sein, was wir immer waren und wir aus dieser Perspektive auch keine Gefahr, keinen Tod, kein Versagen oder Betrug kennen, passiert etwas befreiendes innerhalb der menschlichen Dimension des Vertrauens.

Es formt sich neu, da wir unsere eigene Unbegrenztheit erkennen. Es bildet sich ein tiefes Vertrauen in unser Selbst, dass dieses Leben formt und alles versuchen wird, damit unsere Aufmerksamkeit auf dieses Selbst gerichtet bleibt. Wir stehen dadurch mit gelösteren Beinen im Leben und haben einen sicheren Anker, welcher uns die Illusion des reinen Schreckens nimmt.

Das bedeutet nicht, dass wir allem blind vertrauen müssen.
Ich misstraue dem Vertreter, der mir eine weitere Versicherung andrehen möchte und in dessen Gedanken ich die geschulten Gesprächsmechanismen erkenne aber keine wirklich gute Absicht, mir zu helfen. Ich misstraue den Politikern, die mit geübter Rethorik jede Schuld von sich weisen und ich gehe z.B. nicht freiwillig an Orte, welche Ärger und Gewalt versprechen. Das sind erlernte Schutzmechanismen, die für mein Urvertrauen keinerlei Bedeutung haben. Sie gehören einfach dazu, wenn das Spiel des Lebens gespielt wird. Sie sind Teil des Theaters, dass für ein paar Akte als Mensch erlebbar wird und danach in Vergessenheit gerät.

Im Spiel als Kinder mit Freunden lernen wir, zu gewinnen, zu verlieren, besser zu werden und strategisch zu denken. Dennoch sind wir uns bewusst, dass der Wettbewerb während des Spiels keine Auswirkung auf unsere Freundschaft hat.

Das gesunde Misstrauen gegenüber anderen hat nicht wirklich etwas mit unserer inneren Haltung zu tun. Sie ist ein Ausdruck, den wir in diesem Spiel brauchen. Wir können unsere Nachbarn lieben, müssen aber nicht einer Meinung sein und gemeinsam in den Urlaub fahren. Durch diese Haltung kann sich das Verhältnis zu den Mitmenschen in vielen Fällen deutlich entspannen.

Wenn das Vertrauen in die Grundstrukturen unserer Lebenswelt wächst, schwindet das Verharren in Konzepten. Alte Krüge können langsam neu gefüllt werden. Vertrauen erhält ein völlig neues Fundament. Das heilt sogar einige alte Wunden, die das Leben mit sich gebracht hat.